II. Staatlicher Schutz der Unternehmer- und Arbeiterklasse.
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Verkehrs-, Kolonial- und Sozialpolitik war innerhalb des nicht geeinigten Deutschst
Reiches ebenso ausgeschlossen, als die Abwehr ausländischer Einmischung in unsere
inneren politischen Angelegenheiten.
Die andere Voraussetzung für die Vereinheitlichung bestand iti der Fpeigebung
des Wettbewerbs oderinder Einführung der freien Konkurrenz, die auch aus anderen
Gründen nicht mehr hinausgeschoben werden konnte. In den sechziger Jahrelt näm
lich beginnt in der Arbeitsweise eine Verschiebung einzutreten; die handwerksmäßige,
von den Lokalaufträgen abhängige Erzengungsweise wird allmählich durch die ma
schinelle, methodisch organisierte Fabrikation erseht. Kurz darauf setzt auch der Groß-
und Weltverkehr in Gestalt der Ausdehnung des Eisenbahn« und Dampfernetzes ein.
In den folgenden Jahrzehnten trat für Deutschland eine Periode großer
Kräftigung in industrieller und kommerzieller Hinsicht ein; was England in einem
Jahrhundert erreichte, hat Deutschland in diesen wenigen Jahrzehnten erzielt. Diese
Kräftigung war nicht möglich ohne Aufgabe der bisherigen Gebundenheit. Die Ge-
werbefreiheit wurde daher zu einem der neuzeitlichen Grundrechte.
Im gleichen Schritt mit der auf immer weitere Gebiete übergreifenden
Maschinentechnik vollzog sich der rasche Fortschritt des Großbetriebs und Groß
verkehrs, der internationalen Konzentration, das Hinausdrängen auf den Weltmarkts.
Allmählich gewannen die Grundsaktoren mehr und mehr an Boden, welche der Volks
wirtschaft ein neues Gepräge und einen festeren Körper geben sollten; es sind das die
Zunahme, Konzentration und Jnternationalisierung der Bevölkerung
(Großstadt, Jndustriebezirk), der Großindustrie, des Großkapitals und des
Großverkehrs, die Wirksamkeit der Massenkräfte (Arbeits-und Kapitalkrast),
sowie des Massen ko nsums und ein erhöhtes politisches Leben. Eine Wirkung
der fortschreitenden Betriebskonzentration war die Herausbildung einer abhängigen
Arbeiterklasse, die Entstehung des modernen Proletariats, eine Wirkung der An
häufung der Vermögenskomplexe, der sogenannten Akkumulation, die Verschärfung
der Klassengegensätze.
So wichtig als die erste Folge, die Vermehrung der Bevölkerung, der Ar
beiter-, Kapital-' und Produktenmenge, ist die Umwandlung der Quantität in die
Qualität (Differenzierung und Organisierung), die allzeitige Dffponibilität nnd All
gegenwart der gefragten Waren und der ebengenannten Produktionsfaktoren, ferner
das ständige Ueberangebot und die scheinbare „Überproduktion" (Uebervölkerung,
die sich in einem Bezirk anstauende Reservearmee, Geldabundanz u. s. f.), die Ver
schärfung der Unterbietungskonkurrenz, der ständige Druck ans Zins, Lohn, Preis
(Spezialisierung) und Unternehmergewinn.
All das bewirkt eine sich mit elementarer Wucht durchsetzende Umgestaltung
der sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen der gesamten Kulturwelt.
i) „Von nicht geringerer Bedeutung," legt Lexis in der „Kultur der Gegenwart" (1906) dar,
„als die Maschinenarbeit in der Fabrikation, war die Verwendung der Dampfkraft im Dienst des
Transports der Güter und der Personen. Die Intensität des Weltverkehrs wurde dadurch
in ihrer Art noch weit stärker gesteigert, als einst feine Extensität im 16. Jahrhundert. Die
fortwährende Erleichterung und Verbilligung der Produktion und des Transports durch wirk
samere technische Hilfsmittel führte zu einer großartigen Vermehrung der Gütererzeugung,
mit der in den meisten Ländern auch eine beträchtliche Zunahme der Bevölkerung
zusammenging."