180 Vierter Abschnitt. Konjunkturprognose und Konjunkturpolitik.
junkturverhältnissen, denen sie sich nach Möglichkeit anzupassen
suchen müssen. Diese Industrien sind einmal gezwungen, sich auf
einen kurzfristigen Massenbedarf einzustellen und diesem Bedarf
so vollkommen wie möglich anzupassen, aber auch die Produktion
und den Absatz möglichst zu forcieren, d. h. diese vorübergehende
Konjunktur auszunützen, da nur dann der nötige Gewinn erzielt wird.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten ergeben sich jedoch dann, wenn die
Mode wechselt, und die Bedarfsrichtung eine andere wird 1 ).
In allen solchen Gewerben und Industrien, die so unter dem Ein
fluß der Mode oder aus anderen Gründen mit einer schnell wechseln
den Konjunktur zu tun haben, beobachtet man nun einmal, daß die
Betriebsanlagen und sonstigen Produktionsmittel der großen Unter
nehmungen gar nicht darauf eingerichtet sind, aus eigenen Kräften
die Nachfrage bei ihrem höchsten Stande befriedigen zu können.
Wäre -dies nämlich der Fall, dann wäre- das Kapitalrisiko zu groß,
da ja bei einem Wechsel der Bedarfsrichtung die Gefahr vorliegt,
daß, entsprechend dem rückläufigen Absätze, ein Teil der Anlagen
stillgelegt werden muß.
Wir sehen vielmehr, daß die größeren Unternehmungen, die in
den Zeiten der Hochkonjunktur über ihre derzeitige Leistungsfähig
keit hinausgehenden Aufträge an kleine Betriebe im Lohn weiter
geben. Wie Gothein es in der untengenannten Schrift ausgeführt hat,
„wenn sie selbst hieran noch wenig verdienen, so können sie doch
auf solche Weise ihren Umsatz erweitern, ohne ihr Kapital übermäßig
steigern zu müssen, über die wahrscheinlich dauerhafte Absatz
vermehrung hinaus. In den Zeiten der Depression vermögen sie dann
doch wieder jene Aufträge, die ihnen jetzt wieder wertvoll geworden
sind, an sich zu ziehen; sie ziehen die Reservetruppe der Kunden ein
und entlassen die Reservetruppe des Kapitals“.
„Die Lohnindustrie dient nämlich dazu, die Zufälligkeiten der
Modeindustrie, bei der sowohl die Beschäftigung im ganzen schwankt,
wie insbesondere die Aufträge für die einzelnen Fabrikanten, je nach
der Beliebtheit der Muster, wechseln, in geeigneter Weise auszu
gleichen. Anderen Falles, wenn der Fabrikant selber das Kapital
hätte, würde er zu oft in die Lage kommen, einen beträchtlichen Teil
desselben nicht beschäftigen zu können; ebenso aber könnte er auch
*) Von neuerer Literatur über diese Frage seien genannt: H. v. Becke -
rath, Die Kartelle der deutschen Seidenweberei-Industrie. Karlsruhe 1911.
— A. Rasch, Die Eibenstocker Stickereigewerbe unter der Einwirkung der
Mode .Tübingen 1910. — E. Kirchner, Die Barmer Textilindustrie. Disser
tation. Münster 1921. — Gothein, Die Reservearmee des Kapitals.
Heidelberg 1913. —W. Troeltsch, Volkswirtschaftliche Betrachtungen über
die Mode. Marburg 1912.