Der Subsistenzfonds 169
nen wir diese zwei Kategorien zusammen betrachten. Doch sobald
wir die Nachfrage nach „Genußgütern“ oder mit anderen
Worten den „Existenzmittelmarkt‘“ ins Auge fassen, verschwindet
jede Aehnlichkeit zwischen dem Arbeiter und der Person, die
Produktivkredite sucht.
Wir wenden uns nun der Analyse des Verhältnisses zwischen
der Nachfrage nach Gegenwartsgütern und deren Angebot zu
Hierin sind bei Böhm-Bawerk zweierlei Töne zu unterscheiden:
Einmal beruht anscheinend das ganze theoretische Gebäude auf
der Tatsache des Ankaufes von Arbeit, und der Profit wird aus
der Unterschätzung der zukünftigen Güter durch die Arbeiter
abgeleitet; andererseits aber ist es die Nachfrage nach gegen-
wärtigen Gütern seitens der Produktivkredit suchenden Personen,
die als letzte Instanz für die Erklärung des Profits in Anspruch
genommen wird.
Im ersten Falle spielt die Konkurrenz zwischen den Ar-
beitern, im zweiten — die zwischen den Kapitalisten
eine entscheidende Rolle. Der letzte Gesichtspunkt“ hält schon
deshalb keiner Kritik stand, weil er nicht zu erklären vermag,
woher denn der Profit der Klasse der Kapitalisten entsteht;
der Darlehnsmarkt, die Zinszahlung auf Darlehn — dies alles ist
nur die Neuverteilung der Werte zwischen zwei Gruppen der-
selben Kapitalistenklasse; aber auch diese Neuverteilun g
vermag die Entstehung des Wertüberschusses nicht zu er-
klären. Es läßt sich theoretisch eine Gesellschaft denken, in der
es überhaupt keinen Darlehnsmarkt gibt, aber dennoch wird in
ihr der Profit bestehen bleiben. So bleibt uns nur übrig, die Kon-
kurrenz unter den Arbeitern als Basis für die Bildung des
Profits zu betrachten. Hier stellt sich für Böhm-Bawerk der Tat-
bestand, wie bereits erwähnt, in folgender Weise dar. Die Kapi-
talisten schießen den Arbeitern die Subsistenzmittel vor (Arbeits-
kauf), wobei die Arbeiter ihre Arbeit niedriger als den zukünfti-
gen Produktenwert einschätzen; daraus ergibt sich das Agio auf
die gegenwärtigen Güter. Das zahlenmäßige Uebergewicht der
Arbeiter gestaltet auch die Preise derart, daß das Agio auf
die gegenwärtigen Güter auf dem Markte gebildet wird. Dar-
aus könnte man schließen, daß eben die sozial schwache Position
der Arbeiterklasse die Ursache der Profitbildung ist. Da aber die
leiseste Andeutung dieses Gedankens unseren Herrn Professor aus
* Siehe z. B. die S. 541, 542, 543, 544 der „Positiven Theorie“. Wir lassen
die Argumente bezüglich der Personen außer acht, die Konsumtionskredit
suchen, denn diesen Argumenten schreibt Böhm-Bawerk selbst so gut wie gar
keine Bedeutung zu. Siehe Anmerkung auf S. 296.