Full text: Die Staatsausgaben von Großbritannien, Frankreich, Belgien und Italien in der Vor- und Nachkriegszeit

Erstes Kapitel. 
Entwicklung, Aufgaben und Schwierigkeiten des internationalen FinanZvergleichs. 
I. Die Entwicklung der international vergleichenden EN ke 
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Der internationale Finanzvergleich gehört zu den ältesten Problemen, mit denen sich die Statistı 
haupt befaßt hat. Er wurzelt in der deutschen »Universitätsstatistik«, die im 17. Jahrhundert von Her- 
mann Conring*!) insbesondere unter dem Gesichtspunkt der akademischen Ausbildung der zukünftigen 
Staatsbeamten begründet wurde, und die dann zu einem der hauptsächlichen Arbeitsgebiete der deutschen 
Kameralisten wurde, Freilich konnte bei den Kameralisten von einer reinen Finanzstatistik noch keine 
Rede sein. Sie betrieben eine auf immer mehr Staaten sich erstreckende international vergleichende 
Staatenkunde, welche in sehr umfassender Weise auch alle »Hilfsmittel« des Staates, besonders 
die Bevölkerung sowie die Gewerbe- und Handelstätigkeit behandelte. Vor allem aber suchten sie die 
öffentlich-rechtlichen Verhältnisse in den verschiedenen Staaten darzustellen und, soweit es möglich 
war, zu vergleichen. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die öffentliche Budgetwirtschaft aufkam, wur- 
den die Daten der Einnahme- und Ausgabevoranschläge in steigendem Maße zum Rückgrat dieser verglei- 
chenden Staatenkunde; Die Budgetdaten waren am besten geeignet, die Kenntnis von den öffentlichen 
Einrichtungen in den verschiedenen Staaten zahlenmäßig zu ergänzen und ein exaktes Bild von der finan- 
ziellen Lage der Staaten zu geben, So entwickelte sich auf dem Boden der weit ausholenden international 
vergleichenden Staatenkunde der Kameralisten allmählich die internationale Finanzstatistik, die ur- 
sprünglich nichts anderes war als eines der Hilfsmittel zur Erkenntnis der Einrichtungen und Wirksamkeit 
der Staaten, verwoben in den ganzen Komplex des kameralistischen Lehrstoffes, So wird zu Beginn des 
19. Jahrhunderts die vergleichende Finanzstatistik im kameralistischen Sinne, d.h. im Rahmen der 
gesamten Staatenkunde behandelt.?) Dann macht sie einen Isolierungsprozeß durch. Sie löst sich allmäh- 
lich von den übrigen Disziplinen der Kameralisten, wie z. B. der Bevölkerungslehre, los und entwickelt 
sich zur reinen Finanzstatistik, Die übrigen »Hilfsmittel« der Staaten wurden nur noch insoweit 
herangezogen, als sie geeignet waren, die Daten der Finanzstatistik zu bekräftigen und ihr Verständnis 
zu erleichtern. Während also ursprünglich im Rahmen der Universitätsstatistik die allgemeine Lage 
der Staaten und die Organisation ihrer Verwaltung die Hauptrolle spielten, und die Finanzstatistik 
nur nebenher, als Hilfsmittel, behandelt wurde, ist die Beziehung zwischen Finanzstatistik und allge- 
meinen statistischen Angaben nunmehr umgekehrt, Das Buch des Freiherrn v. Reden »Allgemeine 
vergleichende Finanzstatistik«3) bildet einen gewissen Abschluß der dem Problem in dieser Art gegen- 
überstehenden Literatur. 
Im Laufe des 19. Jahrhunderts kommt in die Behandlung der internationalen Finanzstatistik eine Wen- 
dung. Die öffentlichen Aufgaben wurden immer größer, Immer stärkere Anforderungen mußte der Staat 
an die Volkswirtschaft stellen. Um einen Anhaltspunkt zur Beurteilung der Steuerlasten zu gewinnen, 
machte sich das Bedürfnis nach internationalen Vergleichen besonders auch zwischen den konkurrierenden 
Ländern geltend. So entstand das zweite große Motiv für die internationale Finanzstatistik: der Be- 
lastungsvergleich. Während die Kameralisten im Rahmen der Staatenkunde das öffentliche Finanz- 
wesen möglichst in allen Einzelheiten darstellten, um die Unterschiede der staatlichen Einrichtungen und 
der staatlichen Wirksamkeit auf diese Weise zu erkennen, führte der zweite Gesichtspunkt, der Belastungs- 
vergleich, zu der Notwendigkeit, die Vielheit der Finanztatsachen im Endergebnis auf wenige zusammen- 
zefaßte Zahlen zu konzentrieren. Die neuere Entwicklung der Finanzstatistik besteht demnach ‚vor 
allem in einer Reihe von Versuchen, die Finanztatsachen der verschiedenen Länder auf eine vergleich- 
bare Grundlage zu bringen; sie begannen schon auf den ersten Tagungen des Internationalen Sta- 
tistischen Kongresses ein mitbestimmender Gesichtspunkt zu werden, spielten dann in den Diskussionen 
um die deutsche Finanzreform (1908) und den Wehrbeitrag eine wichtige Rolle und wurden vollends durch 
die Bestimmungen des Versailler Vertrages und die Verhandlungen über die interalliierten Schulden zu 
dem aktuellen Kernproblem der internationalen Finanzstatistik. 
Das Problem der international vergleichenden Finanzstatistik wurde mehrfach auf den Tagungen des Inter- 
nationalen Statistischen Kongresses behandelt, Auf der zweiten Tagung dieses Kongresses in Paris (1855), 
die für die weitere Entwicklung der internationalen Finanzstatistik von grundlegender Bedeutung war, wurde 
1), Examen Rerum Publicarum Totius Urbis, enthalten in Bd. IV seiner gesammelten Schriften, herausgegeben von J. W. Goebel, 7 Bde., 
Braunschweig 1730. 
?) So z. B. bei Frhr. v. Malchus, Statistik und Staatenkunde, 1826. 
2) Darmstadt 1851.
	        
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