Object: Die Konsumtion

120 I. Buch B III: K. Oldenberg, Wirtschaft, Bedarf u. Konsum. 
§4 
II. Bisher war von der Vermehrung und Verbesserung der Konsumtion die Rede; 
wie verhält es sich mit der andern Errungenschaft, der freieren Konsum 
tionswahl? 
An sich ist es richtig: je mehr das Existenzminimum überschritten und je mannig 
faltiger das Angebot von Kulturgütern ist, um so größer die individualisierende 
Wahlfreiheit des Konsumenten. Trotzdem zeigt aber die Wirklichkeit eine weit 
gehende Gebundenheit und im Zusammenhänge damit eine erstaunliche 
Gleichförmigkeit der Konsumtion. 
Die Konsumtion steht zunächst in strenger Abhängigkeit von der Gewohn 
heit. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, daß der Mensch eine Nahrung, die er 
und die seine Vorfahren lange gegessen haben, nicht nur gemütsmäßig lieb gewinnt, 
sondern auch wohlschmeckend findet. So hat der Europäer eine eingewurzelte 
Vorliebe für Brot, seine Nahrung aus Jahrtausenden, und zwar der Deutsche für 
sein Roggenbrot, der Engländer und Franzose für sein Weizenbrot, wie der Italiener 
für seine Polenta, der Eskimo 1 ) für seine Fettstoffe. Und diese Geschmacksvorliebe 
wurzelt tief: „für die meisten Reisenden oder Auswanderer beginnt die wahre Fremde 
nur da, wo anders gegessen wird, und nach manchen Erfahrungen in Amerika wird 
bisweilen die Muttersprache früher verloren, als die Essensgewohnheiten“ 2 ). Offen 
bar ist es sehr zweckmäßig, daß die Natur den Geschmack so lenkt; aber die Wahl 
freiheit ist doch objektiv beschränkt, obgleich das beschränkende Moment mit dem 
Subjekte des Konsumenten verwächst. 
Anders bei einer zweiten, noch stärkeren Abhängigkeit, die wir schon kennen: 
Regulierung des Konsums durch das Konventionelle, durch Sitte und 
Mode. In dem Maße, wie sie das hergebrachte Existenzminimum erhöhen, verengen 
sie den Bereich des wahlfreien Konsums. Sie führen geradezu das Regiment in 
diesem Reiche einer angeblichen Freiheit, bis herab zu dem Schnitt der Kleidung 
und der Farbe der Handschuhe. Sie uniformieren gleichzeitig die Konsumtion in 
dem Maße, wie die Nivellierung der Stände und Klassen fortschreitet, und unter 
dem Einfluß des egalisierenden Verkehrs. Auch die ursprünglichen, durch Gewohn 
heit gefestigten Konsumtionsunterschiede verschwinden so, aber erst sehr allmäh 
lich, und es entstehen sogar auf verkehrswirtschaftlicher Grundlage nationale Kon 
sumtionstypen neu, wie der Kaffeekonsum des Nordamerikaners und des Deutschen 
im Gegensatz zum Teekonsum des Engländers. (Ebenso wirkt die Mode nicht immer 
nur egalisierend, sondern unter dem Drucke ihres Neuerungsbedürfnisses bei Gütern 
für dauernden Gebrauch auch variierend, wie neuerdings bei Möbeln.) 
( In dritter Linie beherrscht das Angebot die Konsumtionswahl. Der Ein 
fluß des Angebots auf die Mode wurde schon erwähnt; aber auch sonst ist der Kon 
sument oft gezwungen, sich vom Händler und Fabrikanten bevormunden zu lassen, 
bei fehlender Konkurrenz, oder er ist zu indifferent, um das Joch abzuschütteln. 
Besonders der englische Kaufmann ist gegenüber den Wünschen des Konsumenten 
""oft rücksichtslos. Das Interesse des Großbetriebs an billiger Massenproduktion und 
des Großhandels am Engrosgeschäft steht hinter dieser Bevormundungstendenz, 
und wirkt auf die Konsumtion wiederum uniformierend, ein Hohn auf den Indivi 
dualismus; bei gleichförmiger Ware spart der Großbetrieb an Produktionskosten, 
der Handel an Zwischengliedern und an Reklamekosten. Die stärkste Triebkraft 
dieser uniformierenden Wirkung ist die zunehmende Billigkeit des Warentransports; 
sie verlängert den Aktionsradius des uniformierenden Handels und weitet die Dimen- 
ihrer wirtschaftlichen Kräfte, zu der sie ihre Bedürftigkeit anregt, in die Wagschale. Es 
können daher nicht nur die Bewohner der kühleren Erdzone denen der tropischen an wirt 
schaftlicher Energie und Ueberlebenschance gerade infolge ihrer Bedürftigkeit überlegen sein, 
sondern auch von den Völkern, die unter gleichen Naturbedingungen leben, diejenigen, die 
am stärksten begehren. Es mag sein, daß bei dieser zwiespältigen Entwicklungstendenz der 
Völkermittelstand, die Nationen mit mittelmäßiger Bedürfnisstärke, im internationalen Wett 
bewerb, der ja in seiner vollen Schärfe erst bevorsteht, verschwinden werden. 
Patten, S. 21. ! )Rubner 1913, S. 15.
	        
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