Full text: Weltwirtschaftliche und politische Erdkunde

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GEOGRAPHISCHE STAATENKUNDE 
allgemeinen die Romanen und die Südslawen, auch die Polen. Auch 
scheint der nationale Ehrgeiz häufig im umgekehrten Verhältnis zur 
Kopfzahl der Nation zu stehen, vielleicht, weil in einer kleinen Nation 
das Gefühl des Unterdrücktseins, der Vergewaltigung seitens der großen 
Nationen besonders leicht entsteht. 
Auch zeitlich ändert sich die Heftigkeit und Gefahr innerstaat- 
licher Nationalkämpfe. Solange die Hauptnation eines Staates das 
Heft fest in den Händen hat, vermag sie alle Sonderbestrebungen der 
ihr angegliederten klei- 
aen Nationen mit kräf- 
tiger Hand niederzuhal- 
ten. Wenn aber ihre 
Kräfte anderweitig, z. B. 
durch äußere Schwierig- 
keiten, gebunden sind, 
werden oft vorher poli- 
tisch belanglose Volks: 
teile des Staatsgebie- 
tes zu einer plötzlichen 
Gefahr. 
Um solche Gefahr 
innerer Nationalitäten. 
kämpfe möglichst zu ver- 
mindern, sind die Haupt- 
nationen der National- 
staaten bemüht, die 
Fremdkörper innerhalb 
des Staates möglichst 
aufzusaugen, sie sich 
zelbst gleichartig zu machen und dadurch sich einzuverleiben. Als das 
wirksamste Mittel dazu erscheint nach dem oben Gesagten die Aus- 
breitung der eigenen Sprache, die Schaffung einer einheitlichen Landes- 
sprache für alle Teile des Staates. 
Wir erwähnten schon, wie wichtig für die Zusammenschweißung der ameri- 
kanischen Nation die alleinige Herrschaft der englischen Sprache im amtlichen 
and öffentlichen Leben war. — Die Wallonen hatten vor dem Kriege das Über- 
gewicht in Belgien dadurch erreicht, daß sie die Geltung des Französischen 
als alleinige Regierungssprache durchgesetzt hatten. — Das wichtigste Mittel 
der „Russifizierung‘“ im zarischen Rußland war der zwangsweise alleinige Ge- 
brauch der russischen Sprache in Schule und Armee. 
Kulturelle Autonomie, Aber bei solchen Bestrebungen der Aufsaugung 
iremder Volksbestandteile ist die herrschende Nation leicht geneigt, auf die 
„nationalen Minderheiten“ einen unberechtigten Zwang auszuüben. Die großen 
deutschen Minderheiten, die die neuen europäischen Staatsgrenzen in Südtirol, 
in Polen, Belgien und Frankreich einschließen, haben solchen Zwang im ver- 
gangenen Jahrzehnt nur zu oft und zu hart spüren müssen. Es ist zu verstehen, 
wenn in solchen Fällen die Minderheiten — im Gegensatz zu dem erstrebten 
Ziel -— dem Staate entifremdet und unter Umständen zum Widerstand ver- 
anlaßt werden. Es dürfte im besseren Interesse des Staates sein, wenn er bei 
aller Währung seiner Autorität der kulturellen Eigenart der fremden Volks- 
bestandteile Rechnung trägt, ihnen den Gebrauch ihrer Muttersprache, die Ein- 
Sowenen
	        
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