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V. Kapitel.
liebte Entgegensetzung von „Normen“ und „Naturgesetzen“ besteht also
nur dann zu Recht, wenn man meint, daß sowohl die sogenannten
„Normen“ als auch die sogenannten „Naturgesetze“ nichts Anderes sind
als „Wirkensgesetze“ („Kausalgesetze“), d. h. „identisch begründete
Wirkenszusammengehörigkeiten“, aber allerdings die sogenannten „Nor-
men“ solche „identisch begründete Wirkenszusammengehörigkeiten“, in
welchen sich als erste identische wirkende Bedingung ein besonderes
identisches Wollen findet, hingegen die sogenannten „Naturgesetze“
solche „identisch begründete Wirkenszusammengehörigkeiten“, in welchen
sich als erste identische wirkende Bedingung anderes besonderes iden-
tisches Allgemeines findet. Klar ist nun, daß vielleicht ein göttliches
Wesen, niemals aber ein Mensch eine „Richtlinie“ („Norm“) „setzen“
kann, wenn mit dem Worte „setzen“ ein „Bewirken“ gemeint ist, welche
Meinung allerdings stets obwaltet, da man statt „Normen setzen“ gerne
auch „Normen schaffen, stiften usw.“ sagt. „Richtlinie“ ist nämlich als
„besondere identische Wirkenszusammengehörigkeit‘“ Etwas, das von
Menschen nur „gefunden‘‘, „entdeckt‘, niemals aber „bewirkt“ werden
kann, und niemand wird wohl bezweifeln, daß die Behauptung, jemand
könne ein ‚„Wirkensgesetz‘“, überhaupt eine Zusammengehörigkeit be-
wirken, ein sinnleerer Satz ist, um so mehr, als überhaupt niemals
„Allgemeines‘‘, sondern nur die Zugehörigkeit besonderen Allgemeinens
zu besonderem Einzelwesen gewirkt werden kann.
Indes ist es nicht schwierig, zu bestimmen, was eigentlich —-
wenn auch unklar — mit der Rede vom ‚Normen setzen, schaffen,
stiften usw.‘ gemeint ist, Jeder nämlich, der einen „Handlungs-An-
spruch‘ erhebt, zielt darauf, daß der Behauptungsadressat den „Fall“
einer besonderen „‚Richtlinie‘‘ („Norm“‘) verwirkliche, er zielt also zwar —
was unmöglich ist — keineswegs darauf, eine „Richtlinie zu setzen‘‘,
zu „Schaffen‘‘, zu „stiften‘‘, aber er zielt darauf, dem Anspruchadressaten
identische Allgemeine aus jener Richtlinie zugehörig zu machen.
Jeder, der einen ‚„Handlungs-Anspruch‘“ erhebt, will also Ander-
Handeln besonderer Richtung, Ander-Handeln als Fall besonderer
Richtlinie, welche wir „Richtlinie des Beanspruchten‘ nennen,
als jene Richtlinie, deren ‚Fall‘ beansprucht wird. Da allerdings jeder
Anspruch — z. B. der Anspruch, „ein Glas Wasser zu bringen‘ —
auf verschiedene Weise erfüllt werden kann, müßte in genauer Rede
nicht von einer „Richtlinie des Beanspruchten‘, sondern von einer
„Gruppe hinsichtlich des Beanspruchten äquivalenter
Richtlinien‘ gesprochen werden, da jener, der einen Handlungs-
Anspruch erhebt, eigentlich nicht eine besondere Richtlinie des Ander-
Verhaltens meint, sondern nur „Richtlinienstücke“ („‚Richtlinienfrag-
mente*‘‘), welche von mehreren verschiedenen Richtlinien eingeschlossen
sind, wobei es ihm gleichgültig ist, als „Fall“ welcher dieser „äqui-