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VI. Kapitel.
Wort „sittliche Tat“ ein zweifache Beziehung besonderer Wirkung
kennzeichnendes Wort, da „sittliche Tat“ jede Leistung ist, welche sich
als eine durch „Wollen mit sittlicher Gesinnung“ bedingte Verbesserung
des eine andere Seele betreffenden Interessengesamtzustandes darstellt,
also besondere Wirkung als Erfüllung einer Absicht sitt-
lichen Sinnes ist.
Ebenso aber wie die „Liebesethik“ und „Gesinnungsethik“ ge-
aannten Lehren geht auch die „Imperativ- oder Gebotethik“ genannte
Lehre in die Irre, da ein besonderes Verhalten niemals um dessent-
willen ein „sittliches Verhalten“ ist, weil es die Erfüllung besonderen
Anspruches darstellt, „sittliches Verhalten“ als solches Verhalten
niemals aus besonderem Vergesellschaftungszusammenhange heraus er-
zlärt werden kann. Daß zunächst überhaupt zwei ganz verschiedene
Gegebene mit sprachlich nahe verwandten und sehr ähnlichen Worten,
aämlich „Sitte“ und „Sittlichkeit“, bezeichnet werden, erklärt sich leicht
aus dem Umstande, daß eben ursprünglich das „sittengemäße Ver-
halten“ auch als solches Verhalten angesehen wurde, das wir heute
„‚sittliches Verhalten“ nennen, daß „Sittlichkeit“ außerhalb der
„Sitte“ oder gar im Gegensatz zur „Sitte“ nicht gedacht wurde. So
konnte denn auch als „sittliches Verhalten“ nur jenes Verhalten ge-
dacht werden, durch welches ein auf sittengemäßes Verhalten zielendes
Gebot erfüllt wurde. Als Erfüllung besonderen Gebotes betrachten
aber auch jene das „sittliche Verhalten“, welche die Richtlinien sitt-
licher Handlungen“, bzw. die „Quasi-Richtlinien sittlicher Unter-
lassungen“ für die Richtlinien bzw. Quasi-Richtlinien des von Gott
Gebotenen halten, so daß „Sittlichkeit“ nichts anderes wäre als Zugehörig-
geit göttliches Gebot erfüllenden Verhaltens zu besonderem Menschen.
Es ist aber klar, daß „Geboterfüllung“ niemals und unter keinen
Umständen ein „sittliches Verhalten“ sein kann, da jener, der ein
Sebot erfüllt, nicht auf Gewinn von „Lust sittlicher Gesinnung“ bzw.
auf Vermeidung von „Unlust sittlicher Gesinnung“ zielt, sondern stets
auf Gewinn von Lust daran, daß er sein „Sollen“, nämlich eine ihn
vetreffende ungünstige Zurechnungslage aufgehoben habe. Aber auch
jene, die „sittliches Verhalten“ nicht als solches Verhalten betrachteten,
welches ein „Gebot sittengemäßen Verhaltens“ oder ein „göttliches
Gebot“ erfüllt, blieben trotzdem meist in einer unklaren Wendung der
„Imperativ- und Gebotethik“ stecken, da sie als „sittliches Verhalten“
jenes Verhalten bestimmen wollten, welches das „Gewissen“ des ein-
zelnen Menschen „diktiert“, wobei man ungezwungen von „Geboten“
und „Verboten“ des „Gewissens“ sprach, welche durch die „drohende
sittliche Reue“ „sanktioniert“ sind. Die „Gewissensethik“ genannte
Lehre ist aber wohl jene ethische Lehre, in welcher sich. die größte
Häufung von Irrtümern und Unklarheiten findet. Zunächst ist nämlich