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wickelt, an derem Aufbau übrigens auch die Anhänger anderer „Ver-
stehens‘‘theorien beteiligt sind, nicht zuletzt Dilıh ey, die von dem
Grundgedanken ausgeht, daß die Seele, wie man es ausdrücken kann,
selbst ein Sinnzusammenhang, ein Strukturzusammenhang, ein ge-
gliedertes „Ganze“ sei, das dank seiner eigenen Gliederung ein ge-
eignetes Organ ist, Sinnzusammenhänge in der Umwelt aufzufassen.
Die für unsere Zwecke wichtigen Ergebnisse dieser neuen Einsichten
sind vornehmlich folgende:
1. Da alles Handeln geistbezogen ist, so ist jedes Motiv in einen
Sinnzusammenhang, in ein besonderes geistiges Beziehungs-
system einzuordnen. Es bekommt seine Prägung erst durch diesen
Sinnzusammenhang, in dem es wirkt. Dessen Kenntnis ist also die
Voraussetzung für sein Verständnis, nicht umgekehrt kann etwa der
Sinnzusammenhang aus dem (seelischen) Motiv abgeleitet oder be-
gründet werden. Kapitalismus muß erst da sein, ehe es kapitalistische
Motive gibt. Und ich verstehe diese erst, wenn ich weiß, was Kapi-
talismus ist, wie ich die Motive der Warenhausdiebin erst verstehe,
wenn ich den Sinnzusammenhang: Warenhaus kenne. Ich habe an
anderer Stelle bereits, dort, wo ich einen falschen Psychologismus
in unserer Wissenschaft bekämpfte (siehe S. 166f.), auf diesen
wichtigen Sachverhalt hingewiesen, der es einleuchtend macht, daß
die Psychologie nie die Grundwissenschaft einer Kulturdisziplin,
wie der Nationalökonomie, sondern immer nur eine ihrer Hilfs-
wissenschaften sein kann. Aus demselben Sachverhalt ergibt sich
2. die Einsicht, daß alle psychologischen Kategorien einer Wissen-
schaft wie der Nationalökonomie historisches Gepräge tragen
müssen, daß alle Motive nur gelten für eine bestimmte, geschichtliche
Wirtschaftslage. Daraus folgt, daß die Aufstellung allgemeiner
Motivtafeln, allgemeiner „Trieb‘schemata am Anfang eines Systems,
wie sie in. unseren verbreitetsten Lehrbüchern so sehr beliebt waren,
ein durchaus überflüssiges, ja abwegiges Beginnen ist. Es gibt keine
Motive, die in allen geschichtlichen Wirtschaftsverfassungen die-
selben sind. Es gibt keine „allgemeine Wirtschaftspsychologie“‘, eben-
Sowenig wie es einen „allgemeinen Wirtschaftsmenschen“ (selbst
nicht als Fiktion) gibt. Sondern jeder besonderen Gestaltung der
Wirtschaft entspricht auch eine besondere Seelenverfassung der
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