Full text: Die Meistbegünstigung im modernen Völkerrecht

$ 10. Generelle Behandlung und Sondervorteile, 49 
Columbia und Venezuela! betreffend die Handelsbeziehungen zwischen 
den genannten Staaten v. 18. Juli I9II: 
Art. 1: „Los estados signatarios se obligan a concederse cualquiera 
ventaja comercial o reduccion de derechos que otorguen a uno de 
ellos, siempre que se les den compensaciones semejantes o iguales 
a las que reciben del Estado a quienes se ha hecho la concesiön. 
En cada caso se llegarä a un arreglo amistoso y equitativo para 
ambos, de manera que las ventajas aueden satisfactoriamente com- 
pensadas.‘“ 
Auch die bedingte Meistbegünstigungsklausel enthält das Ver- 
sprechen, den berechtigten Staat der meistbegünstigten Nation gleich- 
zustellen. Sie will jedoch die der unbedingten Meistbegünstigungs- 
klausel eigentümliche Wirkung ausschließen, daß Sondervorteile, die 
dritten Nationen gegen ein entsprechendes Zugeständnis gewährt wurden, 
dem berechtigten Staat unentgeltlich in den Schoß fallen?*, — Das 
Versprechen der bedingten Meistbegünstigungsklausel gliedert sich 
daher in zwei Teile. Die Grundlage bildet die sogenannte „negative“ 
Klausel, die nur gegen eine nachteilige Sonderbehandlung Schutz ge- 
währt. Sie wird meist ergänzt durch die positive Klausel, die den An- 
1 Tratados Vigentes, Bolivia 1925, S. 774; vgl. ferner hierzu die verwandte 
Klausel des Projet de Convention relatif au Traitement des Etrangers Art. 18 
Ziff. ı Abs.2: ‚„Ces conditions plus favorables pourront &tre reclamees sous 
l’engagement d’un traitement 7&ciproque par toute Haute Partie contractante 
qui ne jouissant pas, en vertu d’un accord bilateral, de la clause de la nation 
la plus favorisee, ne pourvait, de ce fait, en r6clamer le benefice gratuit.‘““ Das 
Entgelt ist also die Gewährung der Reziprozität und nicht schlechthin die Gegen- 
leistung des dritten Staates, 
% Der Grundsatz, daß Sondervorteile, die die meistbegünstigte Nation auf 
Grund einer gleichwertigen Gegenleistung erhielt, vom bedingt berechtigten Staat 
ebenfalls nur gegen ein Äquivalent beansprucht werden können, wird als „Rezi- 
prozitätsprinzip‘“ und deshalb die bedingte Meistbegünstigungsklausel auch als 
„Reziprozitätsklausel‘“ bezeichnet. Die United States Tariff Commission de- 
äiniert die Reziprozitätsverträge wie folgt: ‚Where each of the parties to a treaty 
makes special concessions to the other with the intention, that the transactions 
shall be looked upon as particular bargain and with the understanding that its 
benefits are not to be extended automaticly, generally and freely to the other 
states, is called a reciprocity agreement.“ (Vgl. HOFFMANN: Reziprozitätsklausel, 
Wörterbuch des Völkerrechts [HATSCHEK-STRUPP].) — Diese Definition scheint 
mir zu eng zu sein, M. E. ist ein Reziprozitätsvertrag schon gegeben, wenn der der 
meistbegünstigten Nation eingeräumte Sondervorteil zu deren Zugeständnis im 
Verhältnis von Leistung und Gegenleistung steht. Eine Vereinbarung, daß der 
Sondervorteil keinem anderen Staate gewährt werden dürfe, ist nicht erforderlich. 
— Die Vereinigten Staaten verpflichteten allerdings Hawai im Handelsvertrag vom 
Jahre 1875 gewisse der Union eingeräumte Vorteile anderen Staaten nicht zuzu- 
gestehen. Dies bedeutete jedoch eine Ausnahme. Grundsätzlich hat der meist- 
begünstigte Staat diesen Anspruch auf Unterlassung nicht (vgl. Reciprocity 
Treaties, Senate Document a. a. O.). 
Bonhoeffer. Meistbegünstigung.
	        
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