30 Bedeutung der Sozialversicherung.
rung war jedenfalls der Eintritt eines Krieges nicht bedacht; der Reichs—
versicherungsordnung fehlte es hierfür an bestimmten Vorschriften.
Dennoch haben die Versicherungsträger den mannigfachen gesteigerten
Anforderungen, die der Weltkrieg und seine Nachwirkungen an sie stellten,
grundsätzlich genügen können. Sie standen auf festem Boden; die Selbst—
verwaltung gab ihnen Raum und Bewegungsfreiheit genug, um
sich auch veränderten Verhältnissen anzupassen. Soweit erforderlich,
half die Novellengesetzgebung nach. Vorübergehend mußten allgemeine
öffentliche Mittel herangezogen werden. Auch die Umwälzungen in
der Regierungsform des Reiches und der Länder führten nicht dazu,
den Aufbau der Versicherungsgesetzgebung grundlegend umzugestalten.
Im Artikel 161 der neugeschaffenen Reichsverfassung ist die Versicherung
ausdrücklich als Aufgabe des Reiches anerkannt. Hiermit hat die Ver—⸗
fassung selbst den vereinzelt aufgetretenen Bestrebungen, die deutsche
Sozialversicherung durch eine allgemeine Staatsbürgerversorgung zu
ersetzen, den Boden entzogen. Die Reichsverfassung verlangt diese Ver—
sicherung „unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten“. Eine solche
Mitwirkung bringt die Versicherten, wie überhaupt die gesamte Sozialver⸗
sicherung zu einer sozialpolitischen Schule für die Nation geworden ist, in
enge Fühlung mit den Unternehmern und den beteiligten Beamten. Dies
trägt zum Ausgleich von Gegensätzen bei und wirkt versöhnend. Die
Arbeit in der Rechtsprechung und Verwaltung der Versicherung gibt den
Arbeitnehmern Verständnis für die Verwaltung eigener und fremder Ge⸗
schäfte. Sie werden mit dem Gedanken einer Fürsorge für Zeiten der
Not vertraut und auf vernünftige Selbsthilfe durch Sparsamkeit und
Vorsicht verwiesen.
Sehr schwere Zeiten kamen für die Sozialversicherung mit der fort⸗
schreitenden Geldentwertung, ihre Arbeiten und insbesondere ihre Lei⸗
stungen wurden hart davon betroffen, zumal da zugleich die Besetzung
der deutschen Rheinlande und der Einbruch in das Ruhrgebiet die
Einheit der deutschen Volkswirtschaft wie den gesamten Wirtschafts—
organismus stark gefährdeten. Die verantwortlichen Leiter der Ver—⸗
sicherungsträger und ihre Angestellten haben damals mit ernsten
Sorgen für die Zukunft der Versicherung zu kämpfen gehabt, und
nur durch Umsicht und angestrengte Arbeit unter Aufbietung aller
Kräfte ist es gelungen, diese Stürme zu überwinden. Auch die Ge—⸗
setzgebung war fortgesetzt zum Eingreifen genötigt, um die Versiche—⸗
rungsgrenzen richtig abzustecken, die Beitragsleistung wirksam auszuge—
stalten, die Leistungen auf einer sachgemäßen Höhe zu halten und die
Verwaltung von allem entbehrlichen Ballast zu befreien. Als die Be—
strebungen, den Verkehr auf die Goldmark und später auf die Reichs—
mark umzustellen, von Erfolg begleitet waren, festigten sich auch zusehends
mit dem fortschreitenden Gesundungsprozeß der Wirtschaft die inneren
Verhältnisse der Versicherungsträger. In ihrem Aufbau und in ihren
Arbeitsgebieten selbst waren durchgreifende Anderungen nicht erforderlich