stehender Sitten, allgemeiner Einrichtungen annehmen. So
erfährt man zum Beispiel, daß die vielen unter einem Baum
oder vor einem Hause versammelten Menschen, die heftig
gestikulieren und lange Reden halten, durchaus nicht in einer
lebhaften nachbarlichen Unterhaltung begriffen sind, sondern
daß dort ein Schiedsgericht abgehalten wird. Danja lautet
die Bezeichnung in der abessinischen Rechtssprache dafür,
während die Umgangssprache dafür den Ausdruck „kerikker“,
dessen Aussprache etwa sschick-i-tschick lautet, verwendet.
Vor diesem anscheinend völlig formlosen Gericht werden
Klagen vorgebracht. Zeugen und interessierte Personen
werden geladen. Ein vorübergehender Fremder wird auf—
gefordert, als Schiedsrichter zu wirken. Er nimmt zu diesem
Zweck auf dem Richterstuhl, einem Baumstumpf oder einem
Stein, Platz. Seine Entscheidung trifft er nach sorgfältiger
Abwägung der von den Vertretern des Anklägers und des
Beklagten gehaltenen Verteidigungsreden. Die herum—
stehende Menge wird gewiß wesentlich durch Neugierde her—
beigeführt, und manchmal wächst der Gerichtsfall sich zu
einem Sportereignis aus, auf dessen Ausgang Wetten ab—
geschlossen werden; aber unleugbar ist das bei gleichem
Anlaß auch in anderen Ländern der Fall. Nach Beendigung
der Verteidigungsreden müssen die Prozeßgegner einen Eid
leisten „Beim Gotte Meneliks“ oder „Menelik soll sterben“
oder „Gott soll mich strafen, wenn ich falsch geschworen
habe“. Schwer zu sagen, ob diese formlosen Gerichtssitzungen
die Ursache oder die Folge des ausgesprochenen Talentes
der Abessinier für Diskussionen bilden.
Aber Athiopien entbehrt durchaus nicht formal mehr ent—
wickelter Gerichte und Untersuchungsmethoden. Außer der
Danja gibt es einen Gerichtshof, Schillot genannt, der in
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