ss
mit beut Tage, seit welchem der zum Antrage Berechtigte von
der Handlung und von der Person des Thäters Kenntniß ge
habt hat. —
Ueber die Berechtigung mehrerer Berletzten, ferner über
die Theilung des Verfahrens gegen mehrere Thäter und Theil-
nehmer, über die Frist zur Zurücknahme des Antrags, über
das znm Antrage erforderliche Lebensalter — (das vollendete
18. Lebensjahr ist erforderlich,) — bestimmen §§ 62 bis 65
das Nähere. —
Was die in § 231 zugelassene „Buße" anbelangt, so
war es bei den Reichstags - Verhandlungen über dies — (bei
läufig bemerkt, in der deutschen Strafgesetzgebung neue) Institut
der Schadloshaltnng unentschieden, ob jeder andere Entschädi
gungsanspruch neben derselben ausgeschlossen sei.*) Durch das
Gesetz ist jedoch die Frage nunmehr bejaht.
b. Es giebt dann besondere Strafbestimmungen, welche
nach § 9 des Haftpflichtgesehes neben dessen §§ 1. 2. 3 Platz
greifen können. Es sind dies solche Vorschriften, wie sie z. B.
in Spccialgesetzeu,**) als der Gewerbe-Ordnung und den sie
ergänzenden Bestimmungen über Dampfkesselanlagen, ferner in
andern Specialgesetzen, enthalten sind.
Die neueste und zugleich für die nach §§ 2 und 9 des
Haftpflichtgesetzes durch das Verschulden ihrer Vertreter haftbar
werdenden Betriebs-Unternehmer wichtigste Vorschrift ist in der
dem Preußischen Landtage gemachten Gesetz-Vorlage, über den
Betrieb der Dampfkessel, enthalten. Dies Gesetz be
stimmt:
„§ 1. Die Besitzer von Dampfkessel-Anlagen oder die
an ihrer Statt zur Leitung des Betriebes bestellten Vertreter,
sowie die mit der Bewartnng von Dampfkesseln beauftragten
Arbeiter sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß während
des Betriebes die bei Genehmigung der Anlage vorgeschriebenen
Sicherheits-Vorrichtungen bestimmungsmäßig benutzt und die
allgemein anerkannten Regeln der Technik beobachtet werden.
§ 2. Wer den ihm nach § 1 obliegenden Verpflichtungen
zuwiderhandelt, verfällt in eine Geldstrafe bis zu 200 Thlrn.
oder in eine Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten. § 3. Die
Besitzer von Dampfkessel-Anlagen sind verpflichtet, eine amt
liche Revision des Betriebes durch Sachverständige zu gestatten,
die zur Untersuchung der Kessel benöthigten Arbeitskräfte und
Vorrichtungen bereit zu stellen und die Kosten der Revision zu
tragen. Die näheren Bestimmungen über die Ausführung die
ser Vorschrift hat der Minister für Handel, Gewerbe und
öffentliche Arbeiten zu erlassen. § 4. Alle mit diesem Gesetz
nicht im Einklänge stehenden Bestimmungen, insbesondere das
Gesetz, den Betrieb der Dampfkessel betreffend, vom 7. Mai
1856 werden aufgehoben." —
Für den Betrieb von Fabriken rc. mit Dampfkesseln nimmt
diese gesetzliche Bestimmung den Character einer Dienstvorschrift
an, deren Uebertretnng die Unternehmer nach § 2 des Haft
pflichtgesetzes für das Verschulden ihrer Vertreter haftbar
machen kann.
*) Vergi. Stenogr. Berichte des Reichstages (über die Sitzung vom
5. April) 1870 S. 646. — Zur Erläuterung des § 231 bemerkt der
Abg. Lasker, dem die Bestimmung zu danken ist in ihrem jetzigen Wort
laut, in den Stenogr. Berichten des Reichstags vom 3. April 1870 S.
668, es sei hier die Forderung des Beweises der Schadenszufügung fort
gelassen, weil bei der Körperverletzung anzunehmen sei, daß „schon in der
Verletzung der Nachtheil nachgewiesen sei". Da nicht die Strafe, sondern
die Entschädigung dabei in's Auge gefaßt sei und der körperlich Ver
letzte immer zum Schadenersatz kommen solle, so sei fahrlässige und vor
sätzliche Körperverletzung hierin gleichzustellen". —
**) Diese Gesetze re. haben fast durchweg polizeiliche Zwecke, ge
hören deshalb dem Gebiete der Polizei-Vorschriften an und werden als
solche zu Dienstvorschriften, deren Uebertretung nach § 2 des Haftpflicht
gesetzes die Unternehmer verantwortlich macht.
c. Neben den Strafvorschriften kommen bei § 9 des
Haftpflichtgesetzes die civilrechtlichen Bestimmungen über die
Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen*) zur
Anwendung. Sind diese Ansprüche in diesen civilrechtlichen
oder zugleich in den unter a. und b. bezeichneten Vorschriften
niedriger normirt, als in §§ 3. 4 des Haftpflichtgesetzes, so
können die Ansprüche nach diesen §§ erhöht werden. Geben
jene Landesgesetze einen höheren Schadensersatz, so gestattet
§ 9, den höheren Ersatz zu fordern.
Bei allen dergleichen Vorschriften kann § 9 des Haft
pflichtgesetzes in Anwendung kommen, soweit es sich um directe
Regreßklagen gegen den gesetzlich Ersatzpflichtigen handelt.
Die auf Grund § 1. 2. des Haftpflichtgesetzes zustehenden An
sprüche beschränken sich ans repräsentativ Verpflichtete, die
nach sonstigen Grundsätzen von Recht und Billigkeit erst in
subsidium, in Vertretung der eigentlichen und wirklichen Be-
schädiger, wenn diese erweislich excussi wären, haften sollten.
Auf diese directen Regreßklagen seitens des ersten Be
schädigten will Alin. 2 § 9 bie §§ 3, 4, 6 bis 8 des Haft
pflichtgesetzes angewandt wissen.**) Die Verjährungsfrist des
§ 8 greift also auch bei ihnen Platz.
3. Wohl zu beachten ist bei § 9, daß seine Bestimmungen
nur den Beschädigten, wie sie in ß 3 des Haftpflichtgesetzes
bezeichnet sind, zu Gute kommen. Alle dritten Personen sind
mit ihren Entschädigungsansprüchen aus die sonstigen Landes
gesetze angewiesen. Diese Landesgesetze gelten für die Be
schädigten des § 3 nur hinsichtlich der Bestimmungen, welche
denselben einen höheren Ersatzanspruch zusprechen, als § 3.
Hiermit ist also das richterliche Ermessen der §§ 6. 7. des
Haftpflichtgesetzes nicht mehr frei, sondern eben an die besondern
Landesgesetze gebunden bezüglich der Höhe des Schadenser
satzes. Es könnte also z. B. eine unverheirathete Frauens
person, welche bei einem Unfälle nach §§ 1. 2. des Haftpflicht
gesetzes, bei einem Eisenbahn-, Gruben- rc. Unfälle, „ver
unstaltet" würde, nach § 9 auf §§ 123 ff. Allg. Landr.
Th. I. Tit. 6. recurriren mit ihrem Entschädigungsanspruch,
und der Richter müßte diese Landesgesetze in Preußen anwen
den, wenn die Klage der Beschädigten nicht auf Grund §§ 1.
2. (gegen den Haftpflichtigen), sondern nach § 9 des Haft-
pflichtgesetzes gegen den eigentlichen Beschädiger gerichtet wäre.
4. Es scheiden, wie nochmals hervorgehoben wird, bei
§ 9 alle Regreßansprüche aus, welche von den nach § 1. 2.
Haftpflichtigen gegen die Personen, für welche sie haftpflichtig
sind, gegen die eigentlichen und wirklichen Beschädiger und
Schuldigen geltend machen. Für diese „indirecten" Regreß
ansprüche gelten die allgem. Landesgesetze ganz unbeschränkt."*)
*) Für Preußen enthält das Allg. Landrecht Th. I Tit. 6 die be
züglichen Vorschriften. Aehnliche Festsetzungen gelten auch in andern Ge
bieten Deutschlands und in Oesterreich.
*') Vergl. über die Tragweite des § 9 und seine Ausschließung bei
Regreßklagen der Haftpflichtigen gegen die eigentlichen Beschädiger Stenogr.
Ber. 1871 S. 498. 621. — S. u. Zusatz 4 Anm.*)
Wohl zu beachten ist, daß § 9 des Haftpflichtgesetzes für die nach
den Landesgesetzen verfolgten Ersatz-Ansprüche den § 5 nicht als an
wendbar erklärt. Die nach § 9 verfolgten Schadensansprüche können also
noch immer im Voraus ausgeschlossen werden. Denn § 3 bezieht
sich ausdrücklich nur auf die in §§ 1. 2. festgesetzte Haftpflicht der
Unternehmer.
***) Daß diese Regreßklagen nicht unter § 9 des Haftpflichtgesetzeö
fallen, hat Abg. Dr. Schwarze bei den Reichstagsverhandlungen, ohne
Widerspruch zu erfahren, geltend gemacht im Anschluß an das Beispiel, daß
eine Eisenbahn-Direction ihre Haftpflichtleistungen von demjenigen Be
amten oder Dritten, welcher den Unfall verschuldet hat, wieder eintreibt.
— „Ich bin der Meinung", — führte Dr. Schwarze aus, — „daß trotz
der allgemeinen Bestimmung im Al. 2 § 9 die Regreßklage nicht unter
die Bestimmung des Gesetzes und mithin nicht unter die Bestimmung über
die Verjährung zu stellen ist, — weil das Fundament der Regreßklage der