Die Haftpflicht
der
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Eisenbahn-, Bergbau- und Fabrik-Unternehmer.
Dargestellt und erläutert von Ad. Frantz.
In Erfüllung uns ausgesprochenen Wunsches und unseres
Versprechens haben wir das Neichsgesetz vom 7. Juni 1871
einer Bearbeitung in Form des Commentars unterzogen, wie
sie unsern Lesern und den Interessenten des Gesetzes überhaupt
jetzt um so willkommener sein niöchte, je lebhafter sowohl in
Deutschland wie auch in Oesterreich und andern Ländern die
Einrichtung von Anstalten zur Erledigung der Haftpfiicht bei
Unfällen diScutirt und betrieben wird.
Der Reichstag des Norddeutschen Bundes*) hat am 24.
April 1868 eine Petition aus Leipzig, in welcher auf eine
Revision der gesetzlichen Bestimmungen über die Schadens-
Ansprüche von Privatpersonen bei nicht von ihnen verschuldeten
Unglücksfällen auf Eisenbahnen, in Bergwerken, Fabriken u. s. w.
angetragen wird, dem Bundeskanzler zur thunlichsten Berück
sichtigung übergeben. — Die Mängel der bestehenden Gesetz
gebung sind in prozessualer Beziehung vornehmlich in der
zu großen Beschränkung des richterlichen Ermessens bei Er
mittelung des Thatbestandes und Abschätzung des- Schadens,
soweit es das materielle Recht betrifft, aber darin gefunden,
daß die Klage auf Ersatz nur gegen den unmittelbaren, in der
Regel unvermögenden Urheber gegeben wird, daß der Kreis
der zur Entschädigungsklage berechtigten Personen zu sehr be
schränkt, sowie daß das Maaß der Entschädigung in der Regel
unzulänglich sei und fast niemals einen ausreichenden Ersatz
für die Einbuße gewähre, welche dem Beschädigten aus seiner
temporären oder dauernden Arbeitsunfähigkeit, beziehungsweise
den Hinterbliebenen durch den Verlust ihres Ernährers erwachse.
— Eine eingehende Erwägung hat zu der Ueberzeugung führen
müssen, daß die Fortschritte der Industrie allerdings Verhält
nisse geschaffen haben, denen gegenüber die allgemeinen Grund
sätze über die Verpflichtung zum Schadensersätze in den ge
dachten Fällen nicht mehr für ausreichend erachtet werden
') Bei der nachfolgenden Darlegung des Gesetzes sind die dem
Bundesraths-Entwürfe hergegebenen Motive „Mot.", die bei den Reichs-
tags-Berhandlungen vorgebrachten Anträge rc. „Drucks." (Drucksachen),
die Berichte über jene Verhandlungen „Sten. Ber." (Stenographische Be
richte) citirt. — Bei unseren Erläuterungen tragen wir übrigens nur den
Interessen des praktischen Lebens Rechnung, die rein doctrinellen Bemer
kungen und Ausführungen den sür wissenschaftliche Kreise vorzüglich be
stimmten Bearbeitungen des Gesetzes überlassend.
können. — Wenn es tnt Hinblick auf die in gleicher Propor
tion mit der Entwickelung industrieller Anlagen sich mehrenden
Unglücksfälle die Aufgabe der Reichsgesetzgebung ist, der körper
lichen Integrität einen erhöhten Rechtsschutz zu verleihen, so
muß davon abgesehen werden, eine generelle Reform der Grund
sätze über die Verpflichtung zum Schadensersatz herbeizuführen.
Ein so weit gestecktes Ziel würde nur im Zusammenhange jnit
dem ganzen System des Obligationenrechtes sich erreichen lasten.
Zur Zeit wird es sich allein darum handeln können, im Wege
eines Specialgesetzes Bestimmungen zu treffen, um denjenigen,
welche bei mit ungewöhnlicher Gefahr verbundenen Unterneh
mungen an Leib oder Leben beschädigt werden, beziehungsweise
ihren Hinterbliebenen einen Ersatz des erlittenen Schadens zu
sichern. — Hierbei werden vorzugsweise die Eisenbahnen,
Bergwerke und Fabriken in Betracht zu ziehen sein. —
Zwar hat die Eingangs erwähnte Petition auch die Trans
port-Anstalten zur See (Segel- und Dampfschiffe) als
Unternehmungen bezeichnet, bezüglich deren eine strengere Haf
tungsverbindlichkeit einzuführen wäre. Es ist jedoch hierbei
übersehen,, daß das nunmehr als Neichsgesetz geltende Han
delsgesetzbuch in diesem Punkte vollkommen ausreichende Be
stimmungen enthält. Nach Vorschrift des Artikel 451 dieses
Gesetzbuches ist der Rheder für den Schaden verantwortlich,
welchen eine Person der Schiffsbesatzung einem Dritten durch
ihr Verschulden in Ausführung ihrer Dienstverrichtungen zufügt.
Ebenso haftet der Schiffer nach Art. 478 sür jeden durch sein
Verschulden entstandenen Schaden, und ist durch Art. 479 noch
besonders ausgesprochen, daß diese Haftung auch den Reisenden
gegenüber bestehe. Wenn also, wie Petenten behaupten, in
Folge der neuerlich auf deutschen Auswandererschiffen vorge
kommenen Unfälle keine Entschädigungsansprüche erhoben sind,
so wird die Ursache dieser Erscheinung jedenfalls nicht darin zn
finden sein, daß es an den rechtlichen Bestimmungen gemangelt
hätte, um den Beschädigten den Ersatz ihres Schadens zn er
möglichen. (Mot.) —
So die „Motive". Was dieselben werter enthalten über
die Beschränkung auf Eisenbahnen, Bergwerke und Fabriken,
widerlegt die Ansicht sehr maßgebender Fachautoritäten nicht,
welche jene Beschränkung für ebenso unzweckmäßig als unge
rechtfertigt erklärt.