Full text: Die Arbeiterfrage in der Südrussischen Landwirtschaft

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scher Landwirtschaft erfüllt sind, finden wir den Pächter.» 1 ) Diese Worte 
Sombarts passen vollständig auf die neurussischen Gouvernements. Die 
grossen Gutswirtschaften einerseits und der Umstand, dass meistens nicht 
Lust und Fähigkeit, eine Gutswirtschaft zu führen, sondern entweder ein 
Standesvorrecht oder überhaupt eine Zufälligkeit den Grossgrundbesitzer 
diesen Beruf ergreifen lassen, machen die Entstehung des Pachtsystems 
unumgänglich. 2 ) In den neurussischen Gouvernements finden wir daher 
eine starke Entwicklung des Pachtsystems. 
Die Bewirtschaftung der Gutswirtschaft kommt in Neurussland in 
dreierlei Form vor: in der Form der Selbstbewirtschaftung (zu dieser 
Form gehört auch die Bewirtschaftung durch die Administration), in der 
Form einer Pacht, langfristiger oder einjähriger, in Neurussland kurz 
«Uebernahme» genannt. Die letzte Form der Pacht geschieht in der 
Regel pro 1 Dess. und kommt nur für die Kleingrundbesitzer in Betracht. 
Es sind mehr die Bedürfnisse seitens der Pächter als die seitens 
der Gutsherren, die diese Form der Bewirtschaftung des Landes hervor- 
rufen. Die Pächter sind unter den Bauern gewöhnlich die Kleinbesitzer, 
am meisten diejenigen, deren Besitz schon an der Grenze der Besitz 
losigkeit steht. Eine grosse Not an Land und an Geld und Unsicherheit 
der gesamten Lage ihrer Wirtschaft gestattet ihnen, das Land nur auf 
ein Jahr zu übernehmen; ausserdem will auch der Gutsherr das Risiko 
der Verpachtung nur auf ein Jahr übernehmen. Eine solche Pacht wird 
zu einer «Nährpacht», da der das Land übernehmende bäuerliche Klein 
besitzer durch die Zupachtung sein Ackerland nur zum Zwecke des eigenen 
Unterhaltes vergrössern will. Je mehr es in einer Gegend besitzlose 
Bauern gibt, desto dringender wird die Nachfrage nach einer solchen 
«Landübernahme» (Sjemka). Durch eine starke Nachfrage werden die 
Bodenpreise bis zum Aeussersten erhöht, so dass der Pachtschilling auch 
den Arbeitslohn der Bauern verschlingt. In der russischen Literatur 
wird eine solche einjährige Kleinpacht «Hungerpacht» genannt. Die 
Form der Verpachtung hat in Neurussland ihre Geschichte. Durch die 
Aufhebung der Leibeigenschaft, die in ganz Russland den Gutsbesitzern 
die unentgeltlichen Arbeitskräfte entzog, haben die Gutswirtschaften in 
den südrussischen Gouvernements viel weniger als in den übrigen Gou 
vernements Russlands gelitten. Es erklärt sich dadurch, dass in den 
neurussischen Gouvernements die Gutsbesitzer durch die grossen Um 
fänge ihrer Wirtschaften genötigt waren, auch vor der Aufhebung der 
b Sombart: Die deutsche Volkswirtschaft im XIX. Jahrhundert, S. 386. 
2 ) Vgl v. d. Goltz: Landwirtschaft, I. Teil, in Schönbergs Handbuch der politischen 
Oekonomie, II. Ausg. Bd. II. S. 108.
	        
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