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erwerben durften, führte der Landwirtschaft viele unternehmungslustige
Kräfte aus den Kreisen der Bürgerlichen und Industriellen zu, die reich
liches Kapital mitbrachten. Die Ermöglichung der freien Verfügung über
den Grund und Boden, die Durchführung der Separationen und Ablösung
der Servitute machten die Bahn für den technischen Fortschritt frei und
wirkten auf eine rationellere Wirtschaft und intensivere Nutzung des Bodens
hin. Die hohen Getreidepreise, mit denen das Jahrhundert begann und
die während der beiden ersten Jahrzehnte anhielten, trieben auch die
Güterpreise in die Höhe 1 ) und hatten zur Folge, dass die Anbauflächen
für Getreide stark erweitert wurden. Die Krise der 20 er Jahre war in
erster Linie eine Folge der Überproduktion, welche durch die starke Aus
dehnung des Ackerlandes bei gleichzeitig guten Ernten verursacht wurde. 2 )
Aber auch nach Überwindung der Krise blieben die Preise trotz des
starken Wachstums der Bevölkerung, die sich damals noch ausschliesslich
von einheimischem Getreide ernährte, während der folgenden Jahrzehnte
verhältnismässig niedrig. 3 ) Diese Erscheinung hat ihren Hauptgrund
zweifellos darin, dass eben gleichzeitig noch die Möglichkeit der Aus
dehnung des Ackerlandes bestand und ausgenutzt wurde. Erst als sich
diese Möglichkeit immer schwieriger gestaltete, begannen in den 50 er Jahren
die Preise rascher in die Höhe zu gehen und hielten sich so lange gut,
bis in den 70 er Jahren die überseeische Getreidekonkurrenz einsetzte und
die Steigung wieder in ihr Gegenteil verwandelte.
Die materielle Möglichkeit, das Ackerland in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts so stark zu erweitern, wie es geschehen ist, war in erster
1) pie Güterpreise stiegen vielfach auf das Doppelte und noch höher, da die Speku
lation das ihrige dazu tat, um diese steigende Tendenz noch künstlich zu verschärfen.
Die Kriegsjahre brachten vorübergehend starke Rückschläge; die Katastrophe trat aber
erst in den 20er Jahren ein. Vergl. dazu: Ucke, Die Agrarkrisis in Preussen während
der 20er Jahre, Halle 1888; Carl Jentsch, Die Agrarkrisis, Leipzig 1899; Carl
Steinhrück, Die Entwickelung der Preise des städtischen und ländlichen Immobiliar
besitzes zu Halle und im Saalkreise, Jena 1900.
2 ) Jentsch schreibt a. a. 0. S. 39: „Die Wohlfeilheit der 20er Jahre entsprang,
wie nach einer Arbeit von Kuhnt 1826 Merkel in den Schlesischen Provinzialblättern
nachwies, den durch Vermehrung der Anbaufläche und intensivere Bewirtschaftung ge
steigerten Ernteerträgen.“
Verschärft wurde die Krisis dadurch, dass in derselben Zeit der Getreideexport
nach England, Schweden und Frankreich fast vollständig aufhörte, da diese Länder teils
durch hohe Zölle, teils durch Steigerung der eigenen Produktion sich von der Einfuhr
fremden Getreides, frei zu machen suchten.
3 ) Preussen hatte 1816 auf 278042 qkm 10349031 und 1864 auf 279030 qkm
19255139 Einwohner.
Die Getreidepreise waren in Altpreussen nach J. Conrad, Handwörterbuch der
Staatswissenschaft IV, S. 323:
Weizen
Roggen
Gerste
Hafer
Weizen
Roggen
Gerste
Hafer
1816-20
206,2
151,8
131,4
129,8
1871—75
235,2
179,2
170,8
163,2
1821—30
121,4
126,8
76,6
79,8
1876—80
211,2
166,4
162,0
152,6
1831—40
138,4
100,6
87,6
91,6
1881—85
189,0
160,0
154,8
145,8
1841—50
167,8
123,0
111,2
100,6
1886—90
173,9
143,0
138,4
135,2
1851—60
1861—70
211,4
204,6
165,4
154,6
150,2
146,0
144,0
140,2
1891—95
165,5
148,5
142,5
2
143,4