Full text: Volkswirtschaftliches Lesebuch für Kaufleute

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Zweiter Teil. Landet. I. Die Volkswirtschaft. 
Es ist für die wirtschaftliche Tätigkeit der Menschen charakteristisch, daß, wenn 
sie als ein Volk in einer staatlichen Gemeinschaft leben und über die niedrigen Stufen 
roher Naturvölker hinausgekommen sind, die Beschaffung und Verwendung der materiellen 
Güter nicht in der Weise erfolgt, daß die einzelnen Menschen die vielen Güter, welche 
sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse begehren und gebrauchen, sich selber direkt her 
stellen, sondern daß die Produktion und Verteilung der Güter zum weitaus größten 
Teil auf einer Teilung der Arbeit, auf einer Produktion von Tausch- oder 
Marktgütern und auf einem regelmäßigen entgeltlichen Austausch derselben 
beruht. Es scheiden sich die Menschen für den Zweck des Erwerbs in viele, verschiedene 
wirtschaftliche Berufs- und Erwerbsklassen, produzieren in diesen Klassen in geteilter 
Arbeit Tauschgüter, d. h. Güter, die sie nicht selbst gebrauchen wollen, sondern die 
andere gebrauchen sollen; sie tauschen diese Güter (materielle Güter, persönliche Leistungen) 
im wirtschaftlichen Verkehr, in der Regel mit Lilfe des Geldes, untereinander aus, 
und mit dem Äquivalent, das sie in diesem Tauschverkehr erhalten, und das ihr Ein 
kommen bildet, beschaffen sie sich dann die unmittelbaren Bedürfnisbefriedigungsmittel 
oder verwenden den Überschuß auf die Bildung von neuem Vermögen. And ein 
solcher Tauschverkehr auf der Basis der Arbeitsteilung und der Produttion von Tausch- 
gütern findet nicht nur unter den Mitgliedern eines Volkes, sondern auch unter den 
Mitgliedern verschiedener Völker statt (Weltverkehr). 
Durch diese eigentümliche Gestaltung der wirtschaftlichen Tätigkeit ist aber nicht 
nur die wirtschaftliche Beschäftigung und Lage der einzelnen klassenweise eine sehr ver 
schiedene, sondern es entstehen auch unter den einzelnen zahlreiche Verkehrsbeziehungen 
und Rechtsverhältnisse, und es wird der einzelne in seiner ökonomischen Lage, in der 
Art und dem Erfolg seiner Erwerbstätigkeit, in seinen Einkommens- und Vermögens 
verhältnissen von der wirtschaftlichen Tätigkeit und den Landlungen anderer und von 
Gesamtzuständen abhängig. Je höher die Wirtschafts- und Kulturstufe eines Volkes 
ist, je größer der Fortschritt, den es in seiner ganzen wirtschaftlichen und kulturellen 
Entwicklung gemacht hat, umso zahlreicher, mannigfaltiger und verwickelter werden 
die Verkehrsbeziehungen der Menschen, — um so größer wird aber auch die ökonomische 
Abhängigkeit des einzelnen von den wirtschaftlichen Verhältnissen und Landlungen 
anderer und von allgemeinen Zuständen des Volkslebens. 
Wie jedes Gebiet des sozialen und öffentlichen Lebens erfordert auch das wirt 
schaftliche im Interesse der einzelnen und zur Realisierung der sittlichen Ideen und der 
kulturellen Aufgaben des Staats und der Gesellschaft seine gesetzliche Regelung, sowie 
seine Pflege und Förderung durch Organe der öffentlichen Verwaltung. Diese 
Tätigkeit der öffentlichen Gewalt wird umfangreicher, mannigfaltiger und 
schwieriger, je höher die Wirtschaftsstufe eines Volkes ist. And so bildet unter dem 
Einfluß der staatlichen Gesetzgebung und der öffentlichen Verwaltung die Volkswirtschaft 
der heutigen Kulturvölker überall einen sehr komplizierten Organismus ineinander 
greifender und sich gegenseitig bedingender Kräfte und Einrichtungen, dessen richtige 
Erkenntnis und beste Gestaltung zu den schwierigsten Aufgaben der Gegenwart gehört. 
Die tatsächlichen Zustände der Volkswirtschaft sind nicht nur bei demselben Volke 
im Verlauf seiner Geschichte, sondern auch bei gleichzeitig lebenden Kulturvölkern sehr 
verschieden. Aber für alle Völker hat zu allen Zeiten ihr Wirtschaftsleben eine Be 
deutung, die, für das richtige Verständnis des Wesens und der Aufgaben der Volks 
wirtschaft wie der Politischen Ökonomie fundamental, hier besonders hervorzuheben ist. 
Dieselbe entspringt dem engen Zusammenhange, in welchem das Wirtschaftsleben zu 
der Wohlfahrt, dem Kulturleben und der Kulturcntwicklung der Völker steht. 
Allerdings ist die Volkswirtschaft an sich eine Erscheinung materieller Art. 
Sie ist das materielle Güterleben, das Verhalten des Volkes zu den materiellen Gütern, 
die Lerstellung, der Austausch, die Verteilung, die Verwendung derselben. In ihr
	        
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