Full text: Die Bodenreform im Lichte des humanistischen Sozialismus

XII 
Zur Erinnerung an Heinrich Wehberg. 
ihn so jählings fällen sollte, schon länger seine beste Kraft 
untergrub. Aber die zähe Energie, ein Erbteil seiner West 
falen-Heimat, seine starke Willenskraft, die ihm auch bei 
seinen Patienten mehr galt als Medizin, hielten ihn aufrecht, 
ließen ihn, den selbst Schwerleidenden, noch Leiden stillen. — 
„Mensch sein heißt Kämpfer sein“, und er war ein tapferer 
Streiter! 
Ich weiß, daß seine hohen Geistesgaben, die außer 
gewöhnliche manuelle Geschicklichkeit seine Universitäts 
lehrer veranlaßten, dem jungen Arzte eine ehrenvolle Stellung 
an der Hochschule anzubieten; er aber zog den einfachen 
Beruf vor, der seinem Unabhängigkeitsgefühle allein zusagte 
und der vor allem ihm mehr Gelegenheit zu bieten schien, 
wirkliche Not zu lindern. Und er war nicht nur ein Arzt 
des Leibes! Wir alle haben es erfahren, wie er stets be 
strebt war, auch auf das Bessere im Menschen, auf den 
Charakter einen veredelnden Einfluß auszuüben — ein echter 
Seelenarzt. Wie oft sein kluger Hat, seine reichen Er 
fahrungen auf allen Gebieten des Lebens Segen brachten, 
das wird seine große Bescheidenheit nie ganz kund getan 
haben. “ 
Wehberg war einer jener Männer, die ganz von ihrer 
Aufgabe erfüllt waren, der Menschheit nicht nur durch 
ihre wissenschaftlichen Arbeiten, sondern auch durch 
ihr, vorbildliches Leben voranzuleuchten. Er war seiner 
politischen Gesinnung nach ebenso wie Flürscheim ein 
Demokrat. Die Bodenreform war ihm nicht nur wie manchen 
anderen eine interessante wissenschaftliche Theorie, oder 
nur ein Prinzip, durch dessen Vertretung man sich Ruhm 
und Ehre verschaffen konnte. Der Grundgedanke, von 
dem aus allein sein Leben und Streben verstanden werden 
kann, war sein Mitleid mit der Arbeiterklasse, deren Ver 
hältnisse er eingehend studiert hatte. Unter der Erkennt 
nis der tiefen sozialen Schäden unserer Zeit litt er wie 
wenige andere, und er fühlte in sich die heilige Aufgabe, 
nach seinen Kräften zur Besserung dieser Zustände bei 
zutragen. Dafür schien ihm die Bodenreform das ge 
eignetste Mittel zu sein. Unfaßbar war ihm, dem großen 
Idealisten, daß man um zeitlicher Erfolge willen die Augen
	        
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