Full text: Graf Georg Kankrin in nationalökonomischer und finanzwirtschaftlicher Beziehung

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noch schlimmer wurde, als bei der Leibeigenschaft. Es 
fehlte auch nicht an Projekten für die Aufhebung der Leib 
eigenschaft im ganzen Reiche. Bekannt ist die Denkschrift, 
die Kankrin im J. 1818 Alexander I. unterbreitet hatte 
(»Recherches sur l’origine et I’abolition du vasselage ou de 
la feodalite des cultivateurs, surtout en Russie«) und in der 
er seinen Plan der Aufhebung der Leibeigenschaft darstellt. 
Er tritt da entschieden gegen die Befreiung der Bauern, bei 
welcher dieselben ohne jeden Landbesitz blieben, auf. Solch 
eine Aufhebung der Leibeigenschaft fand, wie gesagt, in den 
baltischen Provinzen statt und wurde auch von Alexander 1. 
gebilligt. Kankrins eigener Plan der Aufhebung der Leib 
eigenschaft aber, wenn auch konsequent durchdacht, war 
doch für eine zulange Zeitperiode, nämlich für ganze 
60 Jahre (1819—1880), zugeschnitten. Es braucht kaum 
gesagt zu werden, daß der Kankrinsche Aufhebungsplan 
der Leibeigenschaft unbeachtet blieb. 
Die Furcht, es könne den Gutsbesitzern durch die 
Bauernreform ein großer Schaden zugefügt werden, sowie 
die allgemeine Opposition gegen die Aufhebung der Leib 
eigenschaft seitens der Adligen, — haben zusammengewirkt, 
daß man den Gedanken der Freilassung der Bauern schließ 
lich fallen ließ und sich nur mit einigen oben teilweise er 
wähnten Palliativmaßregeln, wenn wir von den Ostsee-Pro 
vinzen absehen, begnügte. 
Die Lage der Leibeigenen hat sich während der Re 
gierungszeit Alexander I. nicht nur nicht gebessert, sondern 
vielmehr verschlimmert. 1 ) Die Willkür der Adligen und die 
Mißhandlung der Leibeigenen dauerte fort. Die Fälle, wo 
die Schuldigen wegen der menschenunwürdigsten Behand 
lung ihrer Leibeigenen bestraft wurden, sind sehr selten, 
unter Alexander 1. seltener sogar als unter Katharina II. 2 ) 
Und das ist nicht zu verwundern, denn die Fronherren 
hatten immer ihre Beschützer unter den Regierungsvertretern, 
0 Sem- 199. — 2 ) Sem. 200.
	        
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