]I. DIE ÄUSSEREN MERKMALE DES STAATES 225
Ostgrenze Deutschlands bilden, sind die ungünstigsten Stellen im ganzen Ver-
lauf‘ der deutschen Grenze. Nicht nur, weil die ihnen entsprechenden lang-
gestreckten Zipfel politische Halbinseln bilden, die unter Umständen von
mehreren Seiten zugleich angegriffen und leicht abgeriegelt werden können,
wie das Beispiel Ostpreußens zeigt, sondern auch, weil jene Keile gegen das
Herz Deutschlands so weit vordringen, daß dessen Hauptstadt von Osten und
Süden her unmittelbar bedroht erscheint. Nach der neuen Grenzziehung im
Osten beträgt die Entfernung zwischen Berlin einerseits, dem westlichsten
Punkt der polnischen und dem nördlichsten Punkt der tschechoslowakischen
Grenze andrerseits nur noch 160 bzw. 180 km. Berlin liegt heute praktisch
unter den polnischen Kanonen.
Aber auch verwaltungs- und verkehrstechnisch bedeuten lang-
gestreckte und stark gebuchtete Grenzen immer gewisse Schwierig-
keiten. Die Entfernung zwischen dem nördlichsten und südlichsten
Punkt Chiles beträgt in der Luftlinie rund 4200 km (Entfernung
Nordkap — Tripolis) bei nur 750000 qkm Fläche. Die Eisenbahn-
verbindung Ostpreußens mit Oberschlesien wurde schon vor der Schaf-
fung des Polnischen Korridors durch die polnische Grenzbucht um ein
Drittel des geraden Weges verlängert.
DIE GRENZEN DER STAATEN
Künstliche Grenzen. Die Grenzen, die zwei Staaten voneinander
trennen, sind in unseren Atlanten durch Linien gekennzeichnet. In
der Natur werden solche Linien durch Grenzsteine, Pfähle und Gräben
festgelegt. Solche auf historischen Geschehnissen und wirtschaftlichen
Verhältnissen beruhende, in zahlreichen Verträgen im Laufe der Jahr-
hunderte entstandene Grenzen sind demnach immer künstliche und
haben meist einen sehr verwickelten Verlauf (Abb. 186 und 187).
Sie sind deshalb in dünnbevölkerten oder schwer zugänglichen Ge-
bieten, die keine ständige Kontrolle erlauben, leicht. verwischbar, was
dann zu Grenzstreitigkeiten führt. Diesen Nachteil schließt eine be-
sondere Art der künstlichen Grenzen aus. Das sind jene mathema-
tischen, oft über-Hunderte und Tausende von Kilometern geradlinig
verlaufenden Grenzen, die die Diplomaten auf der Karte einfach mit
dem Lineal oder in Anlehnung an die Breiten- und Längenkreise ge-
zogen haben. Sie sind in der Natur gar nicht vorhanden und insofern
unsichtbare Grenzen, aber durch Berechnung und Vermessung immer
wieder leicht festzustellen.
Wir kennen derartige Grenzlinien aus unseren Atlanten. von den jungen
Staatengebilden Nordamerikas, Südamerikas und Australiens, auch von den
Grenzlinien mancher Kolonialgebiete in Afrika und Neuguinea. Die berühm-
teste Staategrenze dieser Art ist der Teil des 49. Parallelkreises, der in einer
Ausdehnung von fast genau 2000 km vom Lake of the Woods bis zur Juan
de Fuka-Straße die Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada
bildet (s, Abb. S. 226).
Natürliche Grenzen. In dem Bedürfnis, die Grenzen möglichst
sichtbar und dauerhaft zu gestalten, lehnt man die künstlichen Grenzen
gern an hervortretende Züge der Erdoberfläche, an Bodenerhebungen,
Wasserläufe, Sumpf- oder Waldstreifen an. Diese bilden dann natür-
liche Grenzen. Sind die begrenzenden Flüsse breit oder caNonartig,
Reinhard. Erakunde.