I. Kapitel,
Grundwissenschaft und Gesellschaftswissenschaft.
ährend „Wissen“ jedes „Bewußt-haben“ eines Gegenstandes ist,
W ist „Erkenntnis“ das vollkommen klare „Bewußt-haben“
eines Gegenstandes und „Erkenntnis-Streben“ jedes Streben, in
welchem darauf gezielt wird, unklares Wissen um einen Gegenstand
zu ‚vollkommen klarem Wissen um diesen Gegenstand zu entwickeln.
„Wissenschaft“ ferner ist jedes Wissen, das jemand kraft seines Wollens,
aus unklarem Wissen um einen Gegenstand zu klarerem Wissen um
diesen Gegenstand zu gelangen, gewinnt, ist also ein in Beziehung zu
besonderer wirkender Bedingung bestimmtes Wissen. „Wissenschaft-
Streben“ nennen wir jedes Streben, in welchem darauf gezielt wird,
klareres Wissen um einen bereits unklar gewußten Gegenstand zu er-
werben. Es gibt aber zahlreiche „Wissenschaft“, die noch keineswegs
„Erkenntnis“ ist und ein „Wissenschaft-Streben“ muß kein „Erkenntnis-
Streben“, also kein Streben nach vollkommen klarer Erkenntnis eines
Gegenstandes sein. Sehr häufig wird also mit dem Worte „Wissen-
schaft“ das „Wissenschaft-Streben“, ein auf besondere Wissenschaft ge-
richtetes Unternehmen bezeichnet, ein Sprachgebrauch, der sich nicht
empfiehlt, weil das Wort „Wissenschaft“ einen besonders „geschaffenen“
Wissens-Zustand bezeichnet, keineswegs aber ein besonderes Streben.
ebensowenig als etwa die Worte „Bürgschaft“, „Bereitschaft“, „Gefolg-
schaft“, „Beamtenschaft“, „Nachbarschaft“, „Kundschaft“, „Botschaft“,
„Gemeinschaft“, „Genossenschaft“, „Gesellschaft“, „Herrschaft“ und ähn-
liche Worte Bezeichnungen eines Strebens darstellen. Alles Tun, mit
welchem auf „Wissenschaft“ gezielt wird, ist aber ausschließlich
sogenanntes „inneres Tun“, nämlich „Nachdenken“, und jedes „Wissen-
schaft-Streben“ ist ein „Nachsinnungs-Streben“ in der später beizulegenden
Bedeutung. Es unterscheidet sich eben das „Wissenschaft- Streben“
vom „Streben nach wissenschaftlicher Lehre“ und vom
„Forschung-Streben“. „Lehren“ ist jedes „Urteilen“, also „Ge-
danken ausdrücken“, mit welchen darauf gezielt wird, anderen Seelen
besonderes Wissen als Bedingung besonderen Könnens zu-
gehörig zu machen, „Lehre“ ist also ein in besonderer Absicht ge-
fälltes Urteil, ist „Gedankenausdruck“, nicht „Gedanke“, „wissen-
schaftliche Lehre“ ist im Besonderem eine Lehre als Ausdruck
von „Wissenschaft“. „Forschen“ ist jedes Tun, mit welchem darauf
gezielt wird, überhaupt erst ein Wissen um besondere Gegenstände zu
gewinnen, also bisher nicht gewußte Gegenstände zur „Gegebenheit“,
Sander, Allg, Gesellschaftslehre. 71