Full text: Allgemeine Gesellschaftslehre

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Kapitel. 
eine ‚„überlegene ursprüngliche Herrschermacht‘“ darstellt. Die er- 
wähnte Schwierigkeit hängt also vor allem auch mit den engen Grenzen 
unseres Wissens darum zusammen, daß besonderen Seelen in besonderen 
Weltzeitpunkten besondere Allgemeine zugehören, die als grundlegende 
Bedingungen für besondere Wirkungen in Betracht kommen. Wegen 
dieser Schwierigkeit ist die Wissenschaft in zahlreichen Fällen ledig- 
lich in der Lage, über das Vorhandensein besonderen Staates in 
besonderem Weltzeitpunkte nur „Wahrscheinlichkeitsurteile“ abzugeben, 
aber keineswegs bloß die Wissenschaft befindet sich in dieser Lage, 
sondern etwa auch ein besonderer Politiker, der maßgebend zu ent- 
scheiden hat, ob ein besonderer Staat „völkerrechtlich“ als Staat an- 
zuerkennen ist und zunächst die Vorfrage beantworten muß, ob über- 
haupt eine besondere „de facto-Regierung“ vorhanden ist, d. h. ob eben 
irgend ein besonderer „Staat“ gegeben ist. Obwohl sich also das Ge- 
gebene „Staat schlechtweg“ klar bestimmen läßt, sind wir doch hin- 
sichtlich der Beantwortung der Frage, ob zwischen besonderen Seelen 
in besonderem Weltzeitpunkte eine „Staatsbeziehung“ besteht, auf bloße 
„Wahrscheinlichkeit“ angewiesen, kommen über eine mehr oder weniger 
große Ungewißheit nicht hinaus, und diese Ungewißheit 1äßt sich nun 
einmal weder durch irgendwelche willkürliche Dichtungen beseitigen 
noch auch durch irgendwelche flotten Redensarten, muß vielmehr von 
jedem, der den Grund jener Ungewißheit einmal erkannt hat, hingenommen 
werden. Allerdings können wir in zahlreichen Fällen „a posteriori“, d. h. 
im Hinblicke auf besondere vergangene Ausübungen besonderer ur- 
sprünglicher Herrschermacht, mit Gewißheit sagen, daß in besonderen 
vergangenen Weltzeitpunkten zwischen besonderen Seelen besondere 
Staatsbeziehungen bestanden haben und können dann auch oft mit großer 
Wahrscheinlichkeit, die an Gewißheit grenzen kann, feststellen, daß jene 
„Staatsbeziehungen“ auch gegenwärtig noch bestehen und „voraussicht- 
lich“ auch noch für einen mehr oder weniger bestimmbaren Weltzeit- 
raum bestehen werden. Wann. immer jemand das Urteil fällt, es be- 
stehe zwischen besonderen Seelen eine besondere Staatsbeziehung, wird 
er, will er sein Urteil rechtfertigen, bald zu der Einsicht gelangen, daß 
er solches Urteil mit Gewißheit nur hinsichtlich vergangener Zeiträume, 
jedoch bloß mit Ungewißheit hinsichtlich künftiger Zeiträume fällen kann, 
mit einer Ungewißheit, die oft in Zeitpunkten starker politischer Be- 
wegung nur mit einem „Vielleicht“ angemessen bezeichnet ist. Die 
Tatsache aber, daß unser Wissen darum, ob in besonderem Zeitpunkte 
zwischen besonderen Seelen eine Staatsbeziehung besteht, in zahlreichen 
Fällen mit mehr oder weniger starken Zweifeln belastet ist und un- 
umgänglich belastet sein muß, darf nicht etwa in dem Sinne aufgefaßt 
werden, daß das Gegebene „Staat“ selbst eine „Fiktion“, ein bloßer 
„Begriff“, ein bloßer „Idealtypus“ u. dgl. wäre. Denn selbstverständlich
	        
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