140 I. Buch B III: K. Oldenberg, Wirtschaft, Bedarf u. Konsum. § 7
sein Fortschrittsbewußtsein subjektiv trösten, die Annäherung an den Beharrungs
zustand muß ihm diesen Verlust an immateriellen Gütern schließlich zum Bewußt
sein bringen. Seine enormen Aufwendungen für Naturgenuß zeigen, wie er schon
heute seine Einbuße einschätzt.
b) Mit diesen ideellen Konsumtionsverlusten in der Verkehrswirtschaft gehen
Hand in Hand konkrete Verschlechterungen der Konsumtion; in erster Linie eine
andere und vielfach unzweckmäßigere Wahl der Kost. Wir müssen
hier etwas weiter ausholen.
1. In der verkehrslosen Eigenwirtschaft hat der Konsument nur eine enge Aus
wahl zwischen den Gaben der Natur; die Produkte fremder Klimate sind ihm un
erreichbar; nur die Erzeugnisse der eigenen Scholle ernähren ihn wie die Pflanze.
Auch die Wahl der Kleidung und der anderen Güter ist ebenso durch die Natur
vorgezeichnet. Auf dieser ursprünglichen Stufe füllt die durchaus bodenstän
dige Konsumtion des Menschen ein Kapitel der Geographie, hauptsächlich der
Pflanzengeographie; dem europäischen Kornesser steht gegenüber der amerikanische
Maisesser, der ostasiatische Beisesser, mit den charakteristischen Zutaten und er
gänzenden Nährstoffen, die das nationale Menü der Völker zusammensetzen. Die
auf Instinkt und Erfahrung gegründete, Jahrhunderte alte Erbweisheit der zweck
mäßigen Nahrungswahl hat so jedem Volke und jeder territorialen Volksgruppe
einen der tausend Wege gezeigt, die zum Ziele der physiologischen Normalnahrung
mit gewissen chemischen Bestandteilen führen: je nach dem Maße der zu leistenden
Muskelarbeit und nach dem Körpergewichte und dem Umfang der Körperoberfläche
1750 ') bis 5000 und mehr 2 ) Kalorien (Energie-Einheiten) netto täglich für den
erwachsenen Mann, zusammengesetzt fast ausschließlich aus Kohlehydraten, Fett
und Eiweiß. Diese drei Stoffe, die in jeder nationalen Nahrung in gewissen Mengen
verhältnissen annähernd wiederkehren und ihren weitaus überwiegenden Inhalt
bilden, können sich untereinander mehr oder weniger vertreten; dabei repräsentiert
nach Bubner 3 ) 1 g Eiweiß oder Kohlehydrate 4,1 Kalorien, 1 g Fett 9,3 Kalorien.
Während danach das Fett die intensivste Nahrung, ist das Eiweiß die unersetzlichste
Nahrung; etwa 100 g der teuren Eiweißstoffe netto gelten gewöhnlich als Mindest
maß, das durch die beiden andern Stoffe nicht ersetzt werden darf, weil das stick
stoffhaltige Eiweiß das spezifische Material zum Aufbau der Muskeln und Organe
des Körpers liefert; soviel und nicht viel mehr oder weniger wird auch tatsächlich
verzehrt 4 ), ein Mehr vom Körper größtenteils nur mit dem Kalorienwerte ausgenützt,
nicht mit dem spezifischen Eiweißwerte. Dazu kommen netto meist über 50 g Fette 6 )
und mindestens 4—500 g Kohlehydrate, um das nötige Maß der Kalorien voll zu
machen; sie fügen, wenn man es auf eine sehr summarische Formel bringen will,
zum fixen Anlagekapital des Eiweiß das umlaufende Betriebskapital des täglichen
Wärme- und Kräfteverbrauchs. Man mag als Repräsentanten dieser zusammen
gesetzten Nahrung ein belegtes Butterbrot ansehen: das Brot enthält an festen Stoffen
hauptsächlich Kohlehydrate, die Butter Fett, die daraufgelegte Roastbeef- oder
Käseschnitte 6 ) Eiweiß; ein noch einseitigerer Repräsentant der Kohlehydrate als
Brot ist die Kartoffel und vollends der Zucker. Aus dem Verhältnis zwischen Preis
und Kalorienwert der einzelnen Nahrungsmittel berechnet man ihren „Nährgeld
wert“, und konstruiert die sparsamste Kost durch Zusammenstellung der preis
würdigsten Nahrungsmittel, wobei aber auf ein Mindestmaß von Schmackhaftigkeit
und von Eiweißgehalt gesehen werden muß. In tausend Formen wiederholen die
’) Schneider.
2 ) Bayerischer Holzknecht, New Yorker Bauarbeiter.
3 ) Etwas abweichende Zahlen fand König und der Amerikaner Atwater.
4 ) 90—120 g Reineiweiß, 100—130 g Roheiweiß; vgl. Cohnheim, S. 452.
5 ) Ausgenommen die sehr fettarme Nahrung des Japaners. Das andre Extrem bildet die
sog. Schmalzkost bayerischer Holzknechte (bis über 300 g Fett). Die deutsche Kost war
übrigens in früheren Menschenaltern wohl viel fettärmer als heute.
6 ) Magerkäse.