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öuä> die privaten Versicherungsgesellschaften nicht verschlossen, sondern
bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten Volksversicherungseinrich
tungen geschaffen, die eine nicht unbeträchtliche Verbreitung gefunden
haben. Wenn es ihnen gleichwohl nicht gelungen ist, die Volksver
sicherung, wie das aus mehr als einem Grunde wünschenswert äst,
zu einem Allgemeingut der Bevölkerung zu machen, so hat man die
Gründe dieser Erscheinung darin zu suchen, daß ihre Einrichtungen,
wenngleich sie denen des Auslandes weit überlegen waren, den Ver
sicherten doch nicht so lweit entgegenkamen, wie es notwendig ge
wesen wäre, um allseitiges Vertrauen zu diesen Einrichtungen her
vorzurufen. Wieweit die Beschwerden, die auf diesem Gebiete laut
geworden sind, eine Berechtigung haben, wieweit sie übertrieben sind
und auf Unkenntnis der Sachlage beruhen, das ist eine Frage, der hier
nicht nachgegangen werden soll. Tatsache ist und bleibt, daß sich die
alten Volksversicherungsgesellschaften nur geteilter Sympathien er
freuten. Wollte man daher der Volksversicherung eine weitere Ver
breitung verschaffen, so mußte man auf Verbesserungen bedacht sein.
Da es sich bei der Volksversicherung immer nur um verhältnis
mäßig kleine Beträge handelt, so kommen dafür naturgemäß auch nur
die minderbemittelten Schichten des Volkes in Frage. Solange nun
der Betrieb der Volksversicherung nach den Grundsätzen gehandhabt
wurde, die auch sonst in unserem Wirtschaftsleben in Geltung sind
und an sich durchaus ihre Berechtigung haben, konnte es nicht aus
bleiben, daß sich in weiten Kreisen die Auffassung festsetzte, die Ver
sicherungsnehmer müßten mit ihren geringen Mitteln dazu beitragen,
hohe Gewinne an Aktionäre, Aufsichtsratsmitglieder und Direktoren
auszuschütten. Diese Befürchtung konnte nur ausgeschaltet werden,
wenn aur dem Gebiete der Volksversicherung Einrichtungen getroffen
wurden, die jede Gewinnabsicht ausschlossen und dem Unternehmen
einen gemeinnützigen Charakter gaben, wie ihn die staatliche Ver
sicherung ja auch hat. Eine eigentliche Verstaatlichung andererseits
konnte wieder nicht in Frage kommen, weil die Erfahrung gelehrt hat,
daß man dieses Feld zweckmäßigerweise der Selbsthilfe und damit der
privaten Initiative überläßt, die an Rührigkeit dem Staatsbetriebe
stets überlegen ist. Es mußte also ein Mittelweg gefunden, d. h.
es mußte eine Form geschaffen werden, die an sich privatwirtschaft
lichen Charakter hat, durch besondere Bestimmungen aber den Grund
satz der Gemeinnützigkeit nicht verleugnete. Mit dieser bedeutsamen
Frage haben sich Sozialpolitiker und Versicherungsfachleute seit län
gerer Zeit beschäftigt. So erschien bereits im Jahre 1906 bei
I. Guttentag in Berlin eine anonyme Schrift, die den Präsidenten
des Kaiserlichen Aufsichtsamts für Privatversicherung, Dr. Grüner,
zum Verfasser hatte und den Titel: „Vorschläge zur Reform der
Volksversicherung in Deuffchland" trägt. Darin wurde den großen
privaten Lebensversicherungsgesellschaften nahegelegt, in eine gemein
same Arbeit mit den Organisationen der Arbeiter usw. einzutreten
und der Volksversicherung einen einheitlichen Rahmen zu geben. Auf
diesem Wege, sowie durch zweckenffprechende weitere Bestimmungen
sollten die beiden hauptsächlichsten Schäden der alten Volksversiche
rung, die hohen Verwaltungskosten und der häufige Verfall der
Versicherungen ohne Gegenleistung, beseitigt werden, wenigstens so
weit das überhaupt zu erreichen sein würde.