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Nationale Währungspolitik.
zog, um sie morgen wieder zu entlassen. Die Produktion machte genau die gleichen Kapriolen
wie in Deutschland. Es war zwar Papiergeld (soft money), kein hartes sondern potentiell
weiches plastisches Geld, aber die Emtssionspolitik war hart und hatte demgemäß auch dieselben
Erfolge. •
3rt einer 1898 erschienenen Broschüre^) zeigte ich, daß die Agiotage durchaus keine not
wendige Begleiterscheinung der Papierwährung, sondern nur eine Folge der starren, geistlosen
Emissionspolitik sei. Als man zwei Jahre später (1900) meinen Vorschlägen entsprechend die
Emission dem mit dem Geldkurs gemessenen Geldbedarf anpaßte, verschwand alsbald dieAgiotage.
Überproduktion! Es war zu viel produziert worden. Aber das „zuviel"
deutet auf ein Verhältnis hin und wurde durch den Preisrückgang der Waren
offenbart. Es waren also zu viel Waren erzeugt worden im Verhältnis
zum Angebot des Geldes. Wäre mehr Geld angeboten worden, hätte die Über
produktion auch die Geldfabrikation erfaßt, hätte sich das Geldangebot dem
Warenangebot angeschmiegt, so wäre trotz der vermehrten Produktion kein
Preisrückgang eingetreten, und wie hätte man in diesem Falle von Über
produktion reden können? Gibt es denn für die Überproduktion ein
anderes Maß als den Preisrückgang? Man hat in den letzten Fahren
alle Arbeiterreserven herangezogen, mit Überstunden, mit Tag- und Nacht
schicht, mit vermehrten und verbesserten Maschinen gearbeitet, doch Niemand
sprach von Überproduktion. Trotz stark vermehrter Warenerzeugung
stiegen die Preise. Das Wort Überproduktion hörte man dann erst wieder,
als das Verhältnis zwischen Waren und Geld sich verschob, als, nachdem
Massen von Münzen in die Schmelztkegel und über die Grenze gewandert,
die Reichsbank auch noch ihre Noten in den Ofen warf. llberproduktkon be
steht also immer nur im Verhältnis zum Geldangebot und kann infolgedessen
als ein Unterangebot von Geld bezeichnet werden.
Die Frage, die zu beantworten ist, ist also die: Soll die Produktion sich
dem Gelde oder das Geld sich der Produktion anpassen?
Wer sich fürs erste entscheidet, entscheidet sich für Krise, Bankerott, Defi
zit, Arbeitslosigkeit, Hunger, Revolte und Attentate. Wer aber den Mut hat,
dem millionenstimmigen Beifall zum Trotze, der speziell der Reichsbank von
jeher von Groß und Klein gezollt worden ist, für die andere ^Lösung zu
stimmen, der betritt den Weg des Handels, der Arbeit, des Fortschrittes
und Wohlstandes.
Das Geld ist, das kann gar nicht genug wiederholt werden, ein Werk
zeug des Handels, nichts als ein Werkzeug, und den sachlichen Bedürfnissen des
Handels soll es angepaßt werden. Es ist nichts als ein Tauschmittel, und als
Tauschmittel soll es verwaltet werden. Es soll zu jeder Zeit genau soviel
Geld zum Angebot gegen Waren gebracht werden, daß der Durchschnitt der Preise
nicht fallen, nicht steigen kann. Das Angebot von Geld soll den Bedürsnssen
des Handels täglich angepaßt, auf den Leib zugeschnitten werden.
Zu diesem Zweck ist es vor allen Dingen nötig, daß der Einzug etwaiger
Geldüberschüsse und die Ausgabe etwa fehlender Geldmassen vollkommen ge
trennt werde von dem Gebote des Gewinnes, des Zinses, der Dividende.
Das Geld soll eingezogen und (auf allen Zins verzichtend) verbrannt
werden, solange die Warenpreise steigen,- und es soll wieder gedruckt und in
i) Silvio Gesell: La Cuestion monetariaargentina. 1898. Buenos Aires. Vgl. Schr.-Verz.