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seine Resolution zugunsten der von Kautsky eingebrachten zurückzog, nachdem
diese auf Vorschlag von Bebel an einer Stelle eine weniger unbedingte
Formulierung erhalten hatte, war der Eindruck der Debatte doch der, daß
über die verhandelte Frage noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten
bestanden. Zu lebhaften Erörterungen gab auf dem Kongreß auch eine
Rede Veranlassung, in der nach Auffassung von verschiedenen Genossen
der inzwischen in den Reichstag gewählte Genosse Wolfgang Leine die
Bewilligung von Kanonen für Volksrechte in Aussicht gestellt haben
sollte. Auch Artikel von Eduard Bernstein, worin dieser sich über die
Wahrscheinlichkeit einer katastrophalen Entwickelung und die Bedeutung des
Endziels der Partei für die Taktik geäußert hatte, sowie eine Zuschrift
des Genannten an den Kongreß ließen starke Meinungsverschiedenheiten
zutage treten.
Hannover (9. bis 14. Oktober 1899). Neben einer Resolution, die
die Aufforderung zum Kampf wider die noch nicht erledigte Zuchthaus
vorlage der Regierung wiederholt, sind die Lauptresolutionen des Partei
tages eine von Bebel beantragte und in sechsstündiger Rede begründete
längere Resolution über die Grundanschauungen der Partei und eine
von Geyer begründete Resolution über die Stellung der Partei zum
Militarismus. Zu ersterer hatte das im Frühjahr 1899 erschienene
Buch Eduard Bernsteins: „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die
Aufgaben der Sozialdemokratie" Anlaß gegeben, und die nach drcieinhalb-
tägiger, teilweise sehr scharfer Debatte beschlossene Resolution erklärt, daß
die bisherige Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft der Partei keine
Veranlassung gebe, ihre Grundanschauungen über diese aufzugeben oder
zu ändern, und kein Grund für sie vorliege, ihr Programm, ihre Taktik,
oder ihren Namen zu ändern. Zur erneuten Erörterung der Frage des
Militarismus hatte ein Aufsah Nlar Schippels: „V9ar Friedrich Engels
milizgläubig" Anlaß gegeben. Hier erhielt die Diskussion einen noch
gereizteren Charakter, und neben der Lauptresolution, welche rein sachlich
das Festhalten am Kainpf wider den Militarismus betont, ward noch eine
Resolution angenommen, welche erklärt, daß die Ausführungen Schippels
über die Militärfrage im Widerspruch mit den Grundsätzen der Sozial
demokratie ständen. Aus dem Vvrstandsbericht an den Kongreß verdient
hervorgehoben zu werden, daß die Partei im Februar und März 1899
in fünf Wochen über 88 000 Mk. zugunsten der Angehörigen von
neun in Löbtau in Sachsen wegen eines unbedeutenden Krawalles zu
57 Jahren Zuchthaus und 4 Jahren Gefängnis verurteilten Arbeitern
gesammelt hatte. Das Löbtauer Arteil hatte die sozialistische Arbeiterschaft
Deutschlands mit Recht im höchsten Grade erregt.
Mainz (17. bis 21. September 1900). Die Teilnahme Deutschlands an
der internationalen Aktion zur Niederwerfung des Boxeraufstandes in China
gab den Anlaß, die Frage der Weltpolitik auf die Tagesordnung des Kon
gresses zu setzen. Eine von Paul Singer eingebrachte und begründete Reso
lution, welche die kapitalistische und militaristische Welt- und Kolonialpolitik
verurteilt, wird einstimmig angenommen, und ebenso findet eine Resolution
gegen Englands Krieg wider die Transvaalburen Annahme. Annahme
findet auch eine von R. Calwer beantragte und begründete Resolution
über die Verkehrs- und Handelspolitik der Sozialdemokratie,