Full text: Das Ich und der Staat

4t V. Überstaatliche Bindungen des Jchs 
mäßig macht, erkennt stillschweigend diesen Anspruch, der die 
Wesensart der römischen Kirche ausmacht, als berechtigt an und 
nimmt schon dadurch Partei gegen den Protestantismus. Diese 
ungewollte Parteinahme könnte nur vermieden werden, wenn der 
Staat sein Zugeständnis davon abhängig machte, daß die römische 
Kirche ihren Anspruch auf Alleingeltung aufgäbe. Wem aber wäre 
damit gedient? Dem kirchlichen Frieden sicher nicht. Daß anderer- 
seits der Protestantismus immer noch Rückfällen ins Staats- 
kirchentum unterliegt und die gleichen Zugeständnisse aus Schwäche 
begehrt, die der Katholizismus im Gefühl stärkster Folgerichtigkeit 
fordert ~ das ändert nichts an der Sachlage. 
Auf der letzten Generalversammlung des evangelischen Bundes 
in Königsberg ist der Notschrei laut geworden: „„Der Bekenntnis- 
schule ist in den viel umstrittenen Paragraphen des bayrischen Kon- 
kordats eine Form gegeben worden, daß man sie geradezu eine 
Kirchenschule nennen möchte“. Wer aber hat am lautesten nach der 
Bekenntnisschule gerufen und ruft noch am lautesten danach? 
Protestantische Kreise, die zur „„Freiheit eines Christenmenschen““ 
offenbar so wenig Vertrauen haben, daß sie die Krücke des Staats- 
kirchentums nicht glauben entbehren zu können und diese Krücke auf 
dem Umweg über die Bekenntnisschule zurückholen möchten. 
Die römische Kirche, die den Anspruch erhebt, für jedes Ich der 
alleinige Mittler zwischen Zeit und Ewigkeit zu sein, handelt nur 
folgerichtig, wenn sie die konfessionelle Bekenntnisschule fordert. 
Wenn sie schon die ganze Entwicklung des Ichs, von der Wiege 
bis zur Bahre, als Vorbereitung auf das jenseitige Leben maßgeblich 
bestimmen will, so kann sie sich ein so wesentliches Zwischenglied 
wie die Schulerziehung gutwillig nie aus der Hand nehmen lassen. 
Anders der Protestantismus. Er macht die Auseinandersetzung 
zwischen Zeit und Ewigkeit zu einer Angelegenheit, die jedes Ich 
unter seiner persönlichen Verantwortung selbst durchzukämpfen hat. 
Er kann sich also, aus dem Machtbereiche des Staates von heute, 
sehr wohl auf den Standpunkt zurückziehen, den das Christentum in 
seinen glücklicheren Anfängen einnahm: Mein Reich ist nicht von 
dieser Welt. Er kann die Erziehung des Ichs mit gutem Gewissen 
dem Staat überlassen, wofern der Staat ihm nur die Freiheit 
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