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X V. Finanzwirtschaft. ®)
Diese Frage leitet auf eine besonders für die Entwicke-
lung der Fabrikindustrie außerordentlich wichtige Unter-
suchung über, nämlich zu der Betrachtung der Finanzwirt-
schaft der lateinisch-amerikanischen Länder, die aber nur
in kurzen Strichen entworfen und so weit besprochen werden
kann, als es zur Erklärung der Schwierigkeiten für das Auf-
blühen der Fabrikindustrie erforderlich ist.
Es ist schon öfter hervorgehoben worden, daß die
Wirtschaft der lateinisch - amerikanischen Staaten nicht eine
Volkswirtschaft sei. Wenn man unter dieser die. Lehre von
der Wissenschaft-versteht, wie ein Volk seine Güter nutzbar
macht, so ist es klar, daß es sich nur um Kulturvölker
handeln kann und dann um die Zusammenfassung‘ aller
Einzelwirtschaften, die das Ergebnis einer langen Kultur-
entwickelung ist. Der Staat ist älter als die Volkswirtschaft;
alte Kulturstaaten, z. B. das Römerreich?!), waren. nicht volks-
wirtschaftlich im modernen Sinne organisiert. Es fehlte
ihnen die enge Verbindung zur wirtschaftlichen Einheit;
die Einzelwirtschaften stehen unverbunden nebeneinander.
Die Volkswirtschaft ist also erst eine Eigentümlichkeit des
modernen Staates. UÜberträgt man diese Ausführungen auf
die lateinisch-amerikanischen Länder, so erkennt man so-
fort eine eigentümliche Abweichung: diese Länder sind ihrer
äußeren Erscheinung nach moderne, politisch selbständige
Staaten, die ihre Einrichtungen, soweit der internationale,
politische Verkehr in Frage kommt, den Anforderungen
der Kulturgemeinschaft angepaßt haben. Ihre innere wirt-
schaftliche Ausgestaltung steht aber damit in einem krassen
Widerspruch; sie ist eben nicht, wie bei den übrigen Staaten
der Kulturgemeinschaft, das Ergebnis einer langen Kultur-
entwickelung, die die äußere Machtstellung des Staates auf
seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufgebaut hatte. Die
Jlateinisch-amerikanischen Staaten sind ihrem Wesen nach
nur halbzivilisierte Staaten, .die aber aus den Kolonien euro-
1) Vgl. Schmoller: Grundriß der allgem. Volkswirtschaftslehre.
_.: Teil, S. 282,
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