Full text: Die Gesellschaftswissenschaft

Feld, wo sich die Einheit des Staatsgedankens in der Verwaltung 
kleinerer Kreise verwirklicht. Ich rede hier weder von badischen 
Kreisen, diesen Notbehelfen eines unfertigen Staates, noch von 
den durch frivoles Zerreißen berechtigter Stammeseigentümlich- 
keiten entstandenen französischen Departements; ich meine die 
belgischen, die österreichischen, die Mehrzahl der preußischen. 
Provinzen. Der Staat schafft sie nicht, er findet sie vor; er muß. 
solche durch Gemeinschaft der Lage, der Abstammung und vor 
allem der Geschichte eng verbundene Bezirke in ihrer Kigentüm- 
lichkeit anerkennen, will er nicht ebenso widernatürliche Zustände: 
hervorrufen, wie durch das Zerreißen bestehender oder die 
Gründung künstlicher Gemeinden. Freilich wirkt die Zentral- 
gewalt, bei der größeren Gefahr einer Loslösung vom Staate, 
auf diese Kreise weit intensiver und unmittelbarer als auf die Ge- 
meinden. Trotzdem entsteht in ihnen, selbst wenn sie nur ein 
Werk politischer Willkür sind, eine Fülle örtlicher Interessen, 
die nicht durch den Staat hervorgerufen werden. Soll man nun 
deshalb die Landschaften aus der Staatswissenschaft ausscheiden ? 
Bleibt nicht vielmehr die Verfassung noch mehr die Verwaltung 
eines Staates unverständlich, wenn man die Provinzen nur als 
Institute zur Ausführung des Zentralwillens ansieht, wenn man 
nicht erwähnt, wie sie in Haß oder Neigung, in Reichtum oder 
Armut an Interessen und Bedürfnissen sich zum Staate und zu- 
einander verhalten? Kleine Bezirke, als Tummelplätze des öffent- 
lichen Lebens unter der Zentralgewalt des Staats, braucht jedes 
über eine weite Fläche verstreute Volk; merkwürdig, in wie ver- 
schiedener Weise dies Bedürfnis befriedigt wird. In England, wo. 
es wenig wahre Bauern gibt, sind die Gemeinden verkommen ; 
dafür hat Englands Gentry in den Grafschaften ein Gebiet ge- 
funden für ihre politische Pflichterfüllung, ihre Selbstverwaltung. 
Unsere Kreise und Provinzen, ausgezeichnet einst durch ihre 
partikularistischen Gelüste und das staatsfeindliche Treiben des 
Adels, führen ein sehr unselbständiges Leben; dafür zeigten in 
den letzten fünfzig Jahren in den Gemeinden Bürger und Bauern 
in reichem Maße Neigung und Fähigkeit zur Selbstverwaltung. 
Solche Gegensätze sind bezeichnend für die Staaten; sie be- 
weisen, wie Staat, Provinz, Gemeinde wesentlich gleichartig 
sind, wie der Staat nur gedacht werden kann als eine Einheit 
lokaler Genossenschaften, die jede in ihrem Kreise noch ein selb- 
ständiges Leben führen. — So erscheint der Staat sehr wenig; 
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