10 ALLGEMEINE EINLEITUNG
revolution ein, welche schliesslich das Heer der Lohnbezieher ins
Ungemessene vermehren sollte.
Nur wenige Jahre nach dem Sieg des Gedankens der Rechts-
zleichheit, welcher die berufliche Solidarität nicht anerkennt,
beginnt die Entwicklung der Grossindustrie,
An die Stelle der Handwerksarbeit tritt die Maschine. Die
kleinen Werkstätten müssen den grossen Fabriken weichen, welche
Hunderttausende, später sogar Millionen Bauern an sich ziehen.
In den Städten ballt sich so das Proletariat zusammen, welches
ausschliesslich vom Lohn lebt.
Die Grossindustrie bleibt während ihrer Entwicklungsjahre
ange Zeit unorganisiert. Noch besitzt sie keine Übung in der
vorherigen Abschätzung der Absatzmöglichkeiten und leidet von
Zeit zu Zeit unter der Überproduktion. Der anarchische Cha-
rakter der Erzeugung, der einen wilden Wettbewerb möglich
macht, drückt dem Arbeitsmarkt den Stempel der dauernden
Unsicherheit auf, die sich in zahlreichen Krisen des Arbeits-
markts, in Lohnsenkungen und aussergewöhnlicher Verlängerung
der Arbeitszeit äussert.
Der schlechtbezahlte Fabrikarbeiter, der Ersparnisse nicht zu
machen, vermag und durch aufreibende Arbeit und unzulängliche
Ernährung geschwächt ist, verfügt über keinerlei Einnahmequellen,
wenn er durch Krankheit arbeitsunfähig wird. Er macht dann
sine Zeit des Elends durch, während deren in ihm langsam der
Gedanke wach wird, dass den Gefahren des proletarischen Lebens
nur durch die Betätigung des Gedankens der Solidarität begegnet
werden könne.
DER LIBERALISTISCHE STAAT
Demgegenüber verhält sich der liberalistische Staat durchaus
untätig. Er erhebt als Vorkämpfer der juristischen Gleichheit,
des wirtschaftlichen laisser-faire-Prinzips und der Arbeitsfreiheit
lie Nichteinmischung zu einem geheiligten Grundsatz. Staatsmänner
und Parlamentarier befassen sich nur mit den politischen, Fragen.
Viele bringen der sozialen Tragweite des industriellen Umwäl-
zungsprozesses, der sich vor ihren Augen abspielt, überhaupt kein
Verständnis entgegen. Lange Zeit hindurch beschränken sich die
Behörden darauf, an Familien erkrankter oder beschäftigungs-
loser Arbeiter Gutscheine für Brot zu verteilen.
Gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts aber kam unter dem Ein-
Äluss der zunehmenden Industrialisierung der Gedanke auf, dass
durch die schlechte Stellung der Arbeiter die Gesundheit. Lei-