4i
Kapitel VI.
Der neue deutsche Zolltarif vom 25. Dezember
In den letzten Jahren wurden die Interessen der deutschen
Baumwollindustrie hauptsächlich von zwei Momenten stark in An
spruch genommen. Das eine ist das Zustandekommen des neuen
Zolltarifgesetzes, das andere die abnorme Preisbewegung der Baum
wolle. Wir wenden uns zunächst der Zollfrage zu.
Der im Sommer 1901 veröffentlichte Zolltarifentwurf unterzieht
die bisherigen Zollsätze der Baumwollindustrieprodukte einer recht
gründlichen Revision. Er begegnete mannigfachem Widerspruch.
Die Wünsche der Interessenten fanden z. T. Berücksichtigung in der
an den Reichstag gelangten Vorlage des Bundesrats 1 ). Auf diese
wollen wir uns im folgenden stützen. Die Zolltarifvorlage, die sich,
wie bekannt, eng an das französische Klassifikationssystem anlehnt,
teilt zunächst die Garne in sieben Wertklassen — bisher waren es
fünf —, sodann kommt sie dem lange gehegten und oftmals ge
äußerten Wunsche der Fertigfabrikatenindustrie entgegen, indem sie
die Gewebe nach dem Gewicht, das auf einen Quadratmeter geht,
und nach der Anzahl der Fäden klassifiziert. Die in Betracht kom
menden Zollsätze der Vorlage einzeln aufzuführen, erübrigt sich. Die
Zölle für Grobgarne sind herabgesetzt, ebenso die für Strumpf- und
Wirkwaren, alle übrigen Zölle sind gegenüber dem geltenden General
tarif entweder ziemlich bedeutend erhöht oder in der bisherigen Höhe
belassen.
Das Angriffsobjekt bilden wie immer die Garnzölle. Das El
sässer Industrielle Syndikat forderte, wie es die elsässische Fein
spinnerei, die unter den deutschen Feinspinnern eine ähnliche Stel
lung — wenigstens in Zollfragen — einnimmt wie der Bund der
Landwirte unter den Agrariern, stets getan hat, für die Feingarne
über No. 60 ganz bedeutend höhere Sätze. An Stelle der vom
Bundesrat vorgeschlagenen 30, 36 und 42 M. wollte es 40, 50 und
65 M. gesetzt wissen 2 ). Es konnte sich dabei mit gewissem Rechte
1) Siehe S. 48.
2) Vgl. K. Kuntze, Die Baumwollindustrie. Artikel im „Handbuch der Wirt
schaftskunde Deutschlands“. Leipzig 1903, Bd. 111, S. 610 ff.