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Die verheerende Krankheit, welche seit Jahren an der Bran-
induftrie zehrt, nennen die Brauer die „Hektoliterwut". Die
selbe zeigt folgende Erscheinungen: Eine Brauerei hat — um
mit hiesigen kleinen Verhältnissen zu rechnen — einen Ausstoß
von 20 000 hl Bier. Nun rechnet der Geschäftsinhaber
folgendermaßen: Mit verhältnismäßig wenig erhöhten Unkosten
für Kontor- und Braupersonal, für Fuhrpark, Reparaturen
und dergleichen, sür Verzinsung der Anwesen usw. könnte
ich auch 23 000 hl, vielleicht 24 000 und 25 000 hl herstellen.
Die Verzinsung bleibt sich gleich, der Maschinenbetrieb gibt
leicht ein Mehr an Leistung. In einem früherer: Abschnitt
gaben wir an, wie hoch die Unkosten der Thüringer
Brauereien sind; sie betrugen bei einem der genannten
Geschäfte 8,63 Mt. fürs Hektoliter Das ist übrigens ungefähr
der Durchschnitt, den sie in ganz Deutschland einnehmen. Ist
obige Annahme richtig, sagte sich der Geschäftsinhaber weiter,
so kann ich das Mehr über 20 000 lil billiger verkaufen, und
ich komme immer noch durch.
Nun kam aber die Kehrseite der Medaille. Das billigere
Angebot blieb nicht verborgen. Die früheren Abnehmer sahen
nicht ein, weshalb sie mehr bezahlen sollten als die später
angenommenen. Die Berechnung war ein Trugschluß, die
sämtlichen Verkaufspreise fielen und brachten damit an Stelle
des erhofften Gewinns das entgegengesetzte Ergebnis. Aber
immer wieder wurde der Versuch gemacht, und immer mehr
ging es bergab. Löhne, Materialien stiegen im Preise, die
Verkausswerte gingen dagegen zurück Immer neue Mittel
mußten in die Betriebe gesteckt werden, ihre Verzinsung konnte
sich jedoch dadurch nicht heben.
Der „Hektoliterwut" folgten nun auch die Bayern bei
ihrem Versand rrach Norddeutschland, doch sie stehen dabei
unter ganz anderen Bedingungen. Hier in Norddeutschland
werden alle Verkaufspreise bei diesem Vorgehen in Mit
leidenschaft gezogen, nicht so in Bayern. Die dortigen
Absatzvcrhältnisse sind streng getrennt von der: hiesigen. Arrf
Grund der Steuersätze ist es geschäftlich ganz unmöglich, nord
deutsches Bier über die bayerische Grenze zu schaffen. Umge
kehrt steht der Weg weit offen. Und dieses Ausfalltor nach
Norddeutschland wird jetzt durch die neue Gesetzgebung noch
bedeutend erweitert. Bieten die Bayern, auf Grund der
obigen Berechnung, die hier so trügerisch wirken mußte, in
Norddeutschland billiger an, als das für die hiesigen
Brauereien möglich, nird auch billiger, als sie irr Bayern ver
kaufen, so hat dies nicht den geringsten Einfluß auf ihr haupt
sächliches, d. h. auf ihr bayerisches Absatzgebiet. Sie stehen auf
geschütztem Boden, können deshalb den Nachbar ungestraft
angreifen. Sie können dies um so leichter, da ihre Verhält