3. Volkswirtschaft und Weltwirtschaft.
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beruhen zu einem großen Teil auf dem Kredit. Die Folge ist, daß zahlreiche Kredit-
papiere (Arkunden über die Forderung aus dem Kreditgeschäft) entstehen. Soweit
dieselben, und das ist die Regel, Geldversprechen sind, (Wechsel, Banknoten, fällige
Zins- und Dividendenscheine, Staats- und Kommunalobligationen, Pfandbriefe, Obli
gattonen von Aktiengesellschaften k.) können sie als Geldsurrogate, d. h. als Zahlungs
mittel statt des Geldes, dienen. Die Existenz von Banken vermag, namentlich bei der
Lauptart dieser Kreditpapiere, bei den Wechseln, diese Eigenschaft zu erhöhen, die
Existenz gut fundierter und verwalteter Notenbanken vermag den Wechseln sicherer
Schuldner (durch Lingabe von Banknoten gegen Wechsel im Wechseldiskontgeschäft)
tatsächlich die gleiche Kauf- und Zahlkraft wie dem Geld zu geben. Sofern diese
Voraussetzung für eine solche Verwendbarkeit der Kreditpapiere vorhanden ist und dem
gemäß dieselben tatsächlich die Zahlsunktion des Geldes in großen, Amfange verrichten,
hat die Volkswirtschaft den Charakter einer Kreditwirtschaft.
Diese ist erst eine Erscheinung der allerneuesten Zeit, des 19. Jahrhunderts. Die
vorgeschrittensten Industrievölker sind in den, Stadium, sie zu realisieren; am meisten ist
sie in England verwirklicht.
Die Kreditwirtschaft bildet nicht in derselben Weise einen Gegensatz zu den beiden
anderen Formen des Tauschverkehrs, wie die Geldwirtschast zu der Naturalwirtschaft,
weil bei ihr der Geldverkehr und die Funktion des Geldes als Prcismaß und gesetz
liches Zahlungsmittel bleibende Voraussetzung ist. Sie ist eine Modifikation, eine
höhere Form der Geldwirtschaft und wird deshalb häufig auch „Geld- und Kredit
wirtschaft" genannt. Ferner ist für das Wesen dieser drei Zustände der Volkswirtschaft
zu beachten, daß in jedem folgenden auch noch Tauschgeschäfte wie in den früheren
vorkommen und insbesondere in der Kreditwirtschaft für viele Kreise von Personen und
ganze Verkehrsgebiete der rein geldwirtschaftliche Verkehr die Regel bildet.
Wenn nun nach diesen drei Gestaltungen des Tauschverkehrs „Wirtschaftsstufen"
unterschieden werden, so geschieht cs, weil jede dieser Verkehrsformen nicht nur völlig
andere Zustände der gesamten Volkswirtschaft zur Voraussetzung hat, sondern ihrerseits
auch solche herbeiführt und jede, als Wirkung und Arsache, die besonders charatterislische
Erscheinung eines eigenartigen Gesamtzustandes jeder Volkswirtschaft ist, der bei der
folgenden als ein höherer und als ein großer und wichtiger Fortschritt in der wirtschaft
lichen Entwicklung erscheint.
3. Volkswirtschaft und Weltwirtschaft.
Von Karl Lelfferich.
ftelfferich, Die Baumwollfrage. In: Marine-Rundschau. Redaktion: Nachrichtenbüreau
des Reichs-Marine-Amts. t5. Jahrgang. Berlin, <£. 5. Mittler & 5ohn, tgoH. 5. 6^3—6^6.
Wer einen Blick für die großen Züge der menschlichen und gesellschaftlichen
Entwicklung hat, kann nicht verkennen, daß jedes Fortschreiten der Kultur, insbesondere
auch der ökonomischen Kultur, Land in Land geht und bedingt ist durch eine Steigerung
und Ausdehnung der wechselseitigen Abhängigkeit der einzelnen Individuen und der
einzelnen kleinen und großen gesellschaftlichen Gebilde. Denn diese wechselseitige Ab
hängigkeit ist das notwendige Korrelat des gegenseitigen Sichaushelfens und des plan
mäßigen und organischen Zusammenwirkens der inenschlichen Kräfte zur Erreichung
immer höherer kultureller und ökonomischer Ziele.