Full text: Zum Kampf um die wirtschaftliche Selbständigkeit des Klein- und Mittelbetriebes

Einige Beispiele zeigen es uns: 
Der Arzt, der aus Idealismus seinen Beruf 
gewählt hat und ausfüllt, wird zur Unsittlichkeit 
gezwungen, wenn der Gelderwerb für ihn in den 
Vordergrund tritt. Er wird dann danach trachten, 
den Patienten solange als möglich in seiner Be 
handlung zu behalten, um für jede Konsultation 
eine Entschädigung zu erlangen. 
Der Rechtsanwalt, der Helfer in der Er 
mittelung der Wahrheit, wird zur Unsittlickeit ge 
zwungen, wenn er den Gelderwerb in den Vorder 
grund schieben muss. Er sucht die Prozesse so 
lange hinaussuziehen als möglich, um sich Ein 
nahmen zu verschaffen. 
Der Lehrer wird zur Unsiltlichkeit ge 
zwungen, wenn der Gelderwerb für ihn zur 
dringenden Notwendigkeit wird. Er wird seinen 
Unterricht nicht mehr mit ganzem Idealismus er 
füllen können, wenn der Gelderwerb ihn zwingt, 
noch extra Nachhilfestunden geben zu müssen. 
Er wird sich im Unterricht schonen und schonen 
müssen, um sich genügend Kraft zu erhalten, um 
die Extrastunden überhaupt geben zu können. 
Der Bekenner der Bodenreform, der 
Mann, der das grösste Unglück in der Spekulation 
in Grund und Boden erblickt, wird gezwungen, 
selbst Terraingeschäfte und Spekulationsgeschäfte 
zu machen, wennderGelderwerbfürihn dringende 
Notwendigkeit wird, und sich ihm eine Gelegen 
heit bietet, ein solches, ihm prinzipiell verhasstes 
Geschäft zu machen. 
Der Fabrikant, dessen ganzes sittliches 
Empfinden, dessen Stolz ihn drängt Qualitäts 
arbeit zu produzieren, wird, wenn der Gelderwerb 
ihn drängt, um sich einen grösseren Umsatz zu 
schaffen, billigere und schlechtere Ware hersteilen. 
Der Künstler wird zur Unsittlichkeit ge 
zwungen, wenn er durch die Not gezwungen 
wird, Bilder zu malen, die seiner eignen sittlichen 
Auffassung nicht entsprechen, die er malen muss, 
weil ein Besteller sie von ihm so verlangt und er 
den Besteller befriedigen muss, um seinen Lebens 
unterhalt verdienen zu können. 
Der Agent muss unsittlich handeln, wenn 
er Geschäfte machen muss. Er muss etwas ver 
kaufen, von dem er überzeugt ist, dass es nicht 
befriedigt, dass es vielleicht sogar gefährlich ist, 
weil er, wenn er seine Bedenken äussern würde, 
das Geschäft und damit den Verdienst, den er 
braucht, verlieren würde. 
Das Warenhaus muss die Riesenreklame 
machen, muss die unglaublichsten Tricks ersinnen, 
weil es ohne diese Mittel, die zum grossen Teil 
als unsittlich zu bezeichnen sind, einfach nicht 
existieren und den Ladengeschäften die natürlichen 
Abnehmer sonst nicht abwendig machen könnte. 
DerAngestellle wird zu einem unsittlichen 
Menschen, wenn er aus dem Zwange sein Ein 
kommen erhöhen zu müssen, alle Mittel versucht, 
um seinen Vorgesetzten oder Vordermann aus 
dem Wege zu räumen, um selbst in die besser 
bezahlte Stellung einrücken zu können. 
Die Zahl der Beispiele lässt sich erheblich 
erweitern. 
Wir können hinblicken, wohin wir wollen, 
überall dort, wo der Zwang besteht, Geld zu 
schaffen, kommt in das Leben das Moment der 
Unsittlichkeit. 
Wollen wir die Unsittlichkeit ausschalten, 
dann müssen wir wahrscheinlich überhaupt den 
Erwerbskampf beseitigen. Es ist jedoch nicht 
meine Aufgabe über den Sozialismus zu sprechen, 
ihn zu befürworten oder ihn anzugreifen. Es ist 
für mich wertvoller zu fragen, wie verhält sich 
nun die Regierung zu den sittlichen Forderungen. 
Die Regierung ist m. E. nicht in allem Hüterin der 
Sittlichkeit, sie fördert teilweise die Unsittlichkeit. 
Einige Beispiele. Ein Fabrikant vertreibt 
seine Erzeugnisse auf dem Wege des Hausier 
handels. Er macht dem wirtschaftlich selbständigen 
Mittelstand die schwerste Konkurrenz, vernichtet 
zum Teil Existenzen, er verführt die Abnehmer 
zu Ausgaben, die gar nicht im Verhältnis zu den 
Einnahmen stehen, weil er sie durch seine Hau 
sierer ohne Zeugen beschwatzen lässt, zahlt ausser 
dem seinen Arbeitern Hungerlöhne. Er kommt 
zu grossem Vermögen und wird dafür Geheimer 
Kommerzienrat und Inhaber vieler Orden, er ge 
langt in die führende Gesellschaft und beginnt 
über die Anmassungen des Proletariats, über den 
übertriebenen Luxus, über das Leben der Menschen 
über ihre Verhältnisse hinaus, ganz gewaltig zu 
schimpfen, er wird ein Apostel der Sittlichkeit und 
Moral. Ein anderes Beispiel die Grossbanken. 
Diese haben mit wohlbedachter Klugheit ein 
dichtes Netz von Depositenkassen geschaffen, weil 
sie wissen, dass die kleinen Geschäftsleute und 
Sparer ihr Geld schnell anlegen und abholen, 
täglich verzinst und sicher angelegt haben wollen. 
Die Befriedigung dieses Bedürfnisses ist aber für 
die Qrossbanken nicht etwa eine sittliche Forde 
rung, sondern sie spekulieren damit, dass die zu- 
fliessenden Gelder des Mittelstandes in den Waren 
häusern etc. eine höhere Verzinsung bringen. 
Mit diesem Gelde gründen sie Terraingesell 
schaften, die den Grund und Boden, den der 
Nachwuchs mit tötlicherSicherheit einmal braucht, 
aufkaufen, um auf diesem Wege den kleinen, 
dummen, wirtschaftlich jeglicher Einsicht baren 
Bürgern das Geld abzunehmen, und sie mit ihrem 
eigenen Geld abzumorden. Und was tut nun der 
Staat? Ist er blind gegen dieses Geschehen, ist 
es für ihn nicht auffindbar? Gewiss es muss ihm 
bekannt sein, es ist für ihn jederzeit erreichbar. 
Die Regierung weiss sehr genau, dass die 
Eitelkeit und der Ehrgeiz Schwächen sind, die 
gut ausgenutzt werden können, mit denen sich 
Geschäfte machen lassen. Die Regierung hat das 
Recht, die Bürger mit Titeln und Orden aus 
zuzeichnen, sie weiss, dass bei einem Minister das 
Zucken mit der Wimper genügt, Millionen
	        
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