Full text: Die deutsche Hausindustrie

S10 V. Kap.: Volkswirtschaftliche und foziale Bedeutung der Hausinduftrie 
von mittlerer und befferer Ware faft überall da abgenommen hat, wo nicht 
ein gewiffes künftlerifches Talent und die ererbte Handfertigkeit eines alten 
hausinduftriellen Arbeiterftammes für beffere Produkte die Heimarbeit auch 
jetzt noch als unentbehrlich erfcheinen läjzt.*) 
Die althausinduftrielle Uhren-, Gold- und Silberwarenfabrikation, die aus 
dem Handwerk dazu gekommene Papier-, Portefeuillewaren- und Bürften- 
fabrikation find heute mit Ausnahme der Produktion fchlechter und minder 
wertiger Ware Fabrikinduftrien. In den Stein-, Glas- und fonftigen keramifchen 
Induftrien gehören nur gewiffe künftlerifche Veredelungsarbeiten und ganz 
einfache Waren der Hausinduftrie an. Die Kleineifen- und Mufikinftrumenten- 
induftrie find an die Fabrik übergegangen mit Ausnahme der Produktion einiger 
alter Artikel an alten hausinduftriellen Plätzen; die Fahrrad- und Lampen- 
induftrie, die durchgängig forgfältigere Arbeit erfordern, gehören faft aus 
nahmslos der Fabrik. Im Übergang zum gefchloffencn Betrieb ijt mit Aus 
nahme der künftlerifchen Drechfler- und Schnitzarbeiten die Herftellung aller 
feinem Holzwaren begriffen. Hausinduftriell aber find noch, wenigftens über 
wiegend, die Korb- und Strohflechterei fowie die Korkfabrikation, alfo 
wiederum Induftrien folcher Waren, die nur eine fehr einfache Technik, 
fordern. Bei der Produktion für die menfchliche Wohnung ift nur die Her 
ftellung minderwertiger Möbel und ganz fchlechter Schlöffer hausinduftrielL 
Bei der Produktion für die menfchliche Nahrung ift es in befonderm Grade nur 
die Zigarrenherftellung, d. h. eine Induftrie ungewöhnlich einfacher Arbeit, 
und auch diefe nur teilweife. Und in der Produktion für die Kleidung, in der 
bekanntlich heute die Anfangs- und Mittelprozeffe (Spinnerei, Weberei) faft 
ganz in die Fabrik gegangen find, ift auch nur die Produktion künftlerifch 
ausgeftatteter Waren und vor allen Dingen die Produktion minderwertiger 
Waren hausinduftriell betrieben. * 2 ) 
'-) Vgl. Alfred Weber, Die volkswirtfchaftliche Aufgabe der Hausinduftrie, 
in Schmollers Jahrbuch 1901, 383 ff. 
2 ) Die Spinnerei ift jetzt in ihrem ganzen Umfange fabrikmäßig betrieben, 
die Weberei zum weitaus größten Teile. Der Handwebftuhl hat fich noch er- 
halten für die Weberei von kurzen Stücken oder bei wechfelnden Muftern und 
Moden, alfo für Produkte, deren Herftellung der Webfabrik zu umftändlich ift. 
Verhältnismäßig lange erhielt fich darum die Heimarbeit in der Seiden- und 
Sammetweberei und in der Seidenbandweberei, weil fie ftarke Modeinduftrien 
find. Vgl. A. Glücksmann, Die Hausweberei im fchlefifchen Eulengebirge. 
Sehr. d. V. f. S. 84, 499 ff; „Soziale Praxis“ XIV, Sp. 81 ff. Wilbrandt, Die 
Weber 23 ff. -— ln der Konfektion, foweit fie Heimarbeit ift, befchränkt fich die 
Arbeit vorwiegend auf das leicht erlernbare Nähen von minderwertigen und ganz 
einfachen Srtikeln (Arbeiterkonfektionl.
	        
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