Full text: Wissenschaftlicher Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und Bolschewismus

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allermeisten gehen von dem Grundgedanken als fast selbstverständlicher Vor 
aussetzung aus, daß irgendeine Art des Rechtszwanges für jegliches mensch 
liches Gemeinschaftsleben durchaus erforderlich sei. Sie bejahen die Rechts 
notwendigkeit des Rechtszwangs, Erst seit Ausgang des 18, Jahrhunderts 
unter der Führung des Engländers Godwin treten Schriftsteller auf, welche 
das Recht des Rechts in Frage stellen und ein menschliches Gemeinschafts 
leben ohne jeden Rechtszwang für möglich, ja wünschenswert halten, Rur 
auf dem Wege freier Vertragschließungen sollen sich die Menschen zu freien 
Vereinigungen, aus denen jedem jederzeit der Austritt offenstehen soll, zu 
sammenschließen, Diese Richtung ist der Anarchismus, Er verwirft also 
jeden Staat in irgendeiner Form für die Gegenwart und die Zukunft, er ist 
der Ausfluß des extremsten ökonomischen und kulturellen Individualismus 
und Liberalismus, Der Staat erscheint dem Anarchismus geradezu als Un 
geheuer, Im einzelnen sollen hier seine Lehren nicht dargelegt werden, ihrer 
Erörterung wird ein späterer besonderer Aufsatz gewidmet werden. 
Wir haben also zwei menschliche Gesellschaftsformen und zwei ver 
schiedene Wirtschaftssysteme gewonnen! die eine mit Rechts zwang, die 
andere ohne Rechts zwang. Die Rechtsordnungen und Wirtschafts 
systeme m i t Rechtszwang unterscheiden sich nun wieder je nach der Be 
handlung des Eigentums in zwei grundverschiedene Abarten, in solche, 
welche grundsätzlich das Privateigentum als die beste und wünschens 
werteste Grundlage der menschlichen Kultur und Wirtschaft zulassen und in 
solche, welche das Eesamteigentum als erstbeste und notwendige 
Grundlage für das Aufblühen menschlicher Kultur und Wirtschaft ansehen. 
Es sind die individualistischen und die k o l l e k t i v i st i s ch e n 
Wirtschaftssysteme und Rechtsordnungen, 
Je nach dem Grade der Ausdehnung des Eesamteigentums haben wir 
nun drei verschiedene Unterarten des kollektivistischen Wirtschaftssystems zu 
scheiden! i. den Agrarsozialismus, Er verwirft nur das Privat 
eigentum, am Grund und Boden, läßt es dagegen am Kapital, an allen be 
weglichen Sachen zu. Er war bis vor kurzem, d, h, bis zur großen russischen 
Agrarreform Stolypins in Rußland verwirklicht, wo bekanntlich in den wei 
testen Gebietsteilen das Land in Form des „Mir" der ganzen Dorfgemeinde 
und nicht dem einzelnen gehörte, 2, der Sozialismus, Er erklärt die 
Abschaffung des Privateigentums an den gesamten Produktionsmitteln 
— aber auch nur an ihnen — für wünschenswert oder für naturnotwendig als 
durch den ehernen Gang der ökonomischen Entwickelung bedingt und unab 
wendbar, Unter Produktionsmitteln haben wir — auch das muß 
beschämender Weise zur Beseitigung mancher Unklarheiten und Verschwom 
menheiten in bürgerlichen Kreisen besonders gesagt werden —, alle diejeni 
gen wirtschaftlichen Güter zu verstehen, die zur Erzeugung neuer wirtschaft 
licher Güter notwendig sind, also den gesamten Grund und Boden, städtischen 
wie auch den gesamten ländlichen Besitz, Bergwerke, Fabrikanlagen, Ma 
schinen, Werkzeuge, Rohstoffe, Halbfabrikate, Das Eigentum an allen diesen 
Sachen geht älso auf die Gesamtheit, das Reich, den Staat, Gemeinde oder 
auch an genossenschaftliche Verbände über. Der Sozialismus läßt also nur 
noch persönliches Einkommen aus Arbeit — körperlicher oder geistiger — zu, 
nicht dagegen mehr aus Vermögensbesitz, Jedes private Kapital- und Grund-
	        
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