Wie nun, wenn die Zahl der Betriebsunfälle eine relativ wesentliche Steigerung
erfährt, das heißt, wenn bei unveränderter Arbeiterzahl und Lohnsumme viel
mehr oder auch viel schwerere Unfälle sich ereignen sollten? Wie soll dann das
höhere Erfordernis aufgebracht werden, wenn die Kontingentierung den Weg zum
höheren Beitragstarif bei unveränderter Lohnsumme versperrt?
Noch ein zweites Moment muß hervorgehoben werden. Gesteigerte
Einnahmen aus der Individualversicherung und b e g r e n z t e Prämieneinnahmcn
aus der Kontingentierung widersprechen einander auf das Schärfste. Mit anderen
Worten: Die Kontingentierung hat zur Folge, daß der Uebcrgang zur Indi
vidualversicherung überhaupt keine Sanierungsmaßregel ist. Der etwaige Ertrag
dieser Reform wird lediglich einem Teil der Unternehmer, nicht aber den Unfall
versicherungsanstalten zugute kommen.
Sanierung auf Kosten der A rb ei te rkr üpp e l.
Mit den beiden Maßnahmen der Kontingentierung und Individualversicherung
ist die ganze Herrlichkeit der finanziellen Sanierung erschöpft. Das bisherige Defizit
soll im äußersten Notfälle durch Zusatzbeiträge gemildert werden. In Wirklichkeit kehrt
sich aber die Regierung bei ihrer Bekämpfung des Defizites gegen die Arbeiterkrüppel.
Die Heilverfahrensrente, die bisher 60°/,, des wirklichen Arbeitsverdienstes
bis zum Maximum von K 2400 betragen hat und die unter Umständen höher
war, als das Krankengeld, soll künftig die Mindestunterstützung nicht über
schreiten. Das Feststellungsverfahren für die Dauerrenten soll erst nach Ab
schluß des Heilverfahrens durchgeführt werden ; wer einige Erfahrung besitzt, weiß,
wie schwierig sich nach längerer Zeit die Beweisaufnahme gestaltet und daß der
Schaden daraus lediglich die Krüppel treffen wird.
Besonders energisch wird in der Regierungsvorlage der Kampf gegen die
kleinen Renten geführt. Beträgt die Verminderung der Erwerbsfähigkeit eines
Verletzten nicht mehr als ein Sechstel, so soll die Anstalt berechtigt sein, den
Verletzten abzufertigen. Die Abfertigung darf nicht weniger als die Hälfte und
nicht mehr als den ganzen Jahresbetrag der Vollrcnte betragen!
Für die Verletzten, welchen Alters- oder Invalidenrente zuerkannt ist, ruht der
Anspruch an die Unfallvcrsicherungsanstalt soweit, als die beiden Renten zu
sammen die Vollrente übersteigen.
In den beiden letzten Bestimmungen handelt es sich um eine schwere
Rechtsbeugung. Auch die kleinen Rentner erhalten die Unfallsrente nur als
Ersatz für den Anspruch aus dem zugefügten Schaden; eine Entziehung dieser
kleinen Renten ist also ein Ausnahmsgcsetz gegen die Arbeiterkrüppel. Die In
validenrente gebührt den Versicherten auf Grund der gezahlten Prämien; auch
hier ist die Reduzierung der Unfallrentc eine gehässige Maßregel, die als eine
Verletzung wohlerworbener Ansprüche empfunden werden muß.
Zusammenfassend erklärt über diese Vorschläge die Regierung selbst, das
Defizit würde wohl noch wachsen, wenn nicht vorauszusetzen wäre, daß die Ver
besserungen im Unfallversicherungswcsen und die Entlastung der Unfallvcrsicherungs-
anstalten, die das Gesetz vorsieht, eine Minderung im weiteren Anwachsen der
Defizite zur Folge haben werden. Hier haben wir das offene Eingeständnis: Das
Defizit soll nicht von den Unternehmern, den allein Schuldtragenden, gedeckt
werden, sondern von den Arbeitern!
Die neue Organisation der Unfallversicherung.
Bei dieser Sachlage ist die Art, wie die Regierung die Unfallversicherung
organisiert, von um so größerer Tragweite. Die natürliche Neigung der Unter
nehmer geht gerade bei der Unfallversicherung stets dahin, möglichst geringe sozial-