Full text: Die Regierung im Kampfe gegen die Sozialverischerung

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Trennung der Materien für die Invalidenversicherung wenigstens latent geblieben 
wären. Jetzt muß die Alters- und Invalidenversicherung die Wirkungen dieser 
Gegnerschaften verspüren. 
Zu all dem mußte man noch durch eine ganze Reihe von unausgegorenen 
und deshalb gefährlichen Projekten der Invalidenversicherung fast unüberwindliche 
Hindernisse in den Weg legen. Setzt sich auch das Parlament über diese hinweg, 
so sind sie doch bedeutsam und stark genug, um die Durchführung der Organisation 
der Invalidenversicherung zu verhindern und verwüstend auf die bestehenden Ver- 
sichcrungsinstitute zu wirken. 
Ich habe zu zeigen versucht, daß von besonderer Gefährlichkeit die Ver 
quickung der Selbstäudigenvcrsichcrung mit der Invalidenversicherung der Arbeiter 
und die Schaffung einer Reichsrcntenkasse sind. Zu diesen Originalleistungen fügt 
die Regierungsvorlage noch den Vorschlag auf Schaffung der Bezirksstcllcn. Auch 
die Ausschließung der Arbeiter von der Verwaltung der Versicherungsinstitutc und 
die Reduktion der Unsallrcntcn sind, wie ich früher ausgeführt habe, gar nicht 
geringschätzig zu behandeln. Erst im letzten Augenblicke ist der Plan aufgegeben 
worden, die Bczirkskrankenkasscn der agrarischen Bevölkerung auszuliefern. Dagegen 
werden ihr die Bezirksstellen rettungslos verfallen, denn von 358 Bezirksstellen 
werden kaum 70 von der städtischen Bevölkerung verwaltet werden. 
Darf man annehmen, daß lediglich mangelnde Einsicht und ein Verkennen 
der taktischen Notwendigkeiten zur gegenwärtigen Situation geführt haben, die 
darin besteht, daß die Sozialversicherung auch dann scheitern muß, wenn sie im 
Parlamente beschlossen wird, vorausgesetzt, daß die schweren Hindernisse, die ich 
eingehend erörtert habe, nicht aus dem Wege geräumt werden? Die bisherigen 
Erfahrungen sprechen dafür, daß die zahlreichen Schwierigkeiten, die die Regierungs 
vorlage selbst dem Zustandekommen der Sozialversicherung bereitet, durchaus nicht 
Zufälligkeiten sind, keine taktischen Ungeschicklichkeiten, sondern Schachzüge, deren 
Wirkungen vorausberechnet und gewollt waren. Es ist dieselbe Taktik der Gegner 
schaft, der wir auf allen Gebieten der Arbeiterversicherung seit zwanzig Jahren 
begegnen. Sie hat die längst fällige Invalidenversicherung zuerst durch Nichts 
tun verhindert; sie sucht jetzt durch Vielg csch äftigkcit dasselbe Ziel zu erreichen. 
Ich glaube deshalb, daß alle anderen Gegnerschaften der Alters- und Invaliden 
versicherung sehr wenig Schaden zugefügt hätten, wenn nicht eine ausgesprochene 
Feindseligkeit der Regierungen bestände, die sich lange Zeit in bloßer Passivität 
bekundete und jetzt durch ihr Uebermaß von Tatcnlust nicht nur die Invaliden 
versicherung, sondern auch die bestehende Kranken- und Unfallversicherung gefährdet. 
Wie ist nun ein solcher Zustand selbst in Oesterreich, dem Lande der Un- 
wahrscheinlichkciten, möglich geworden, mit dieser Konsequenz und dieser Beharr 
lichkeit? Es wird doch zweifellos auch maßgebende Minister gegeben haben, die 
kein beträchtliches Interesse an der Verhinderung der Invalidenversicherung hatten. 
Warum ist cs dennoch stets bei jedem Regierungs- oder Ministcrwcchsel gelungen, 
immer wieder denselben Zug der Feindseligkeit gegen die Sozialversicherung intakt 
zu erhalten? Es liegt die Annahme nahe, daß die Minister in Fragen der Sozial 
versicherung Laien sind und auf ihre Hilfskräfte angewiesen bleiben, die ihnen 
Informationen, Vorschläge und die Begründung zu diesen liefern. Allerdings sind 
ja die Minister in der Regel auch auf den anderen Gebieten fachlicher Natur Laien und 
demgemäß auf die Beamten angewiesen. Bei der Sozialversicherung ist der Sachverhalt 
weit komplizierter. 
Der Einfluß der Versicherungstechniker. 
Bei uns sind es nicht Sozialpolitikcr, die in der Arbeiterversicherung amt 
lich dominieren, vielmehr ausschließlich Vcrsicherungsmathcmatiker, darunter auch 
solche aus der Schule der Privatversichernng. Ihre Gedankenwelt entbehrt jedes
	        
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