9
anpassen. Diese aber unterstehen laut Reichsgesetz der Genehmigung
und ständigen Beaufsichtigung durch das Kaiserliche Aufsichtsamt
für Privatversicherung. Dem hätte man sich gern entzogen. So
gingen die Perhandlungen unter der Hand fort. Auf den Partei
tagen darüber zu reden, vermied man wohlweislich, denn man sagte
sich von vornherein, es würde besser sein, die neue Gründung nicht
der Partei, sondern den Gewerkschaften und Konsumvereinen airzu
vertrauen, die ja „offiziell" keine Parteieinrichtungen sind. Nur
so konnte man damit rechnen, auch Kreise zu gewinnen, die der
Sozialdemokratie zurzeit fern stehen. Auf den verschiedenen „freien"
Gewerkschaftskongressen und auf den Tagungen des „Zentralverbandes
Deutscher Konsumvereine" wurde die Frage eingehend durchgesprochen.
Im Jahre 1911 wurde eine Studienkommission aus Vertretern de''
Gewerkschaften und Konsumvereine eingesetzt, welche die Unterlagen
zur Lösung der Frage schaffen sollte. Diese Kommission kam schließlich
zu der Ueberzeugung, daß es am zweckmäßigsten sei, das geplante
Unternehmen der Reichsaufsicht zu unterstellen und ihm die Form
einer Aktiengesellschaft zu geben. Damit dachte man auch am besten
den Schein der politischen „Neutralität" zu wahren.
Demgemäß wurde am 16. Dezember 1912 in Hamburg die
Gründung unter dem Namen „Gewerkschaftlich-genossenschaftliche Ver
sicherungs-Aktiengesellschaft Volksfürsorge" vorgenommen; das Aktien
kapital wurde auf 1 Million festgesetzt; je die Hälfte der Aktien wurde
von den Gewerkschaften und den Konsumvereinen übernommen. Zwei
Tage später erfolgte beim Kaiserlichen Aufsichtsamt die
Einreichung des Gesellschaftsvertrages, der Tarife, Versicherungs
bedingungen und des Geschäftsplanes. Am 6. Mai 1913 wurde der
„Volksfürsorge" vom Kaiserlichen Aufsichtsamt die Aufnahme des
Geschäftsbetriebes für das Deutsche Reich genehmigt, und am 1. Juli
1913 eröffnete das Unternehmen seinen Betrieb.
Trotz aller gegenteiligen Behauptungen kann über den ,ozial-
demokratischen Charakter der „Volksfürsorge" nicht der geringste
Zweifel bestehen. Die Leiter der Gesellschaft, an ihrer Spitze der
frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete von Elm, mögen
sich drehen und wenden, so viel sie wollen; sie werden die Tatsache
nicht aus der Welt schaffen, daß die anerkanntermaßen sozialdemokra
tischen Gewerkschaften und Konsumvereine die „Volksfürsorge "ge
gründet haben. Sie können nicht bestreiten, daß im Vorstand und
Aufsichtsrat des Unternehmens ausschließlich Männer sitzen, die sich
zur sozialdemokratischen Partei rechnen. Ausschlaggebend und allein
maßgeblich sind in der „Volksfürsorge" also Sozialdemokraten. Das
sollte zur Beurteilung des Unternehmens schon genügen. Wer aber
trotzdem noch nicht im klaren darüber ist, dem müßten die mannig
faltigen Veröffentlichungen der sozialdemokratischen Presse die Wahr
heit offenbaren. Nicht die Förderung der Volkswohlfahrt ist das
eigentliche Ziel der „Volkssürsorge"! Sie ist in erster Linie geschaffen
worden, um der sozialdemokratischen Eesamtbewegung neue Stütz
punkte im Volke zu schaffen.
Nun hat man, sobald die Volksversicherungspläne der Sozial
demokratie bekannt wurden, verständlicherweise die Frage aufgeworfen,
ob es nicht möglich sein würde, auf Grund der bestehenden Gesetze
das Entstehen der „Volkssürsorge" zu verhindern. Auch der Ver
fasser hat sich mit dieser Frage eingehend befaßt; er ist aber zu