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Aus den gegebenen Beispielen erkennen wir, welche Modu
lationsfähigkeit jede Bilanz besitzt, wie sie aber auch dadurch für
den gefahrbringend werden kann, der eine Bilanz als Unterlage
für sein Vertrauen gegenüber einem Unternehmen nimmt.
Eine Bilanz hat nur Wert, wenn man jede einzelne Zahl
nach ihrem Entstehen, nach ihrer Zusammensetzung kennt, ein
Urteil über eine Bilanz abgeben aber, ohne die Unterlagen der
Zahlen zu kennen, halte ich für ein anmaßendes Unterfangen.
Wird also die Bilanz als Ausgangspunkt des Vertrauens
gegen eine Unternehmung genommen — wie dies in großem
Maßstabe bei den Aktiengesellschaften geschieht —, so muß der
gewissenhafte Gläubiger sich oder seinem Vertreter die Gewähr
verschaffen, daß das, was in der Bilanz gesagt ist, materiell richtig
und gesetzlich vertretbar ist. Dies geschieht wieder mittels der
Revision, der eingehenden Untersuchung des Rechnungswerkes und
Berichterstattung darüber; sie ist vor allem dort nötig, wo dem
Interessenten die Möglichkeit der Nachprüfung durch die mangelnde
Kenntnis der Rechnungsführung und durch den Umfang derselben
genommen, zum mindesten stark beeinträchtigt ist. Die Revision
wird am besten durch einen qualifizierten Sachverständigen vor
genommen; andere Maßnahmen sind wirkungslos.
Ich stehe darum auch der an sich gut gemeinten Forderung
der Bilanzwahrheit x ) und Bilanzklarheit für die öffentlich Rechnung
legenden Unternehmungen ablehnend gegenüber, weil ihre Er
füllung nur unvollkommen möglich ist. Wenn die Bilanz ge
wiß für die Öffentlichkeit den Maßstab der Beurteilung eines
Unternehmens bilden soll — und der Gesetzgeber hat auch diese
Wirkung herbeiführen wollen —, so dürfte, abgesehen von den
von mir soeben erörterten Schwierigkeiten, die im Werturteil
liegen, eine allzu starke Betonung des Offenheitsprinzips in der
q Während man mit dem Begriff der Bilanzwahrheit den materiellen Gehalt
der einzelnen Bilanzpositionen treffen will, sucht man durch die Bilanzklorheit mehr
den technischen Aufbau der Bilanz zu erfassen, man verlangt die detaillierte Her
gäbe der Zahlen, so z. B.
Debitoren
a) volleinbringliche
bedeckte 600000.—
unbedeckte 250000.—
b) zweifelhafte 150000.- 1000000.—
Ferner wünscht Beigel (Theorie der Buchführungs- und Bilanzrevision, Dresden
1808, S. 21 ff.) die gesetzliche Einführung von Bilanzfchemata für die Hanptgruppen
von Aktiengesellschaften, wie sie z. B. für die Hypothekenbanken bereits bestehen;
unsere Großbanken haben sich neuerdings zur Veröffentlichung ihrer Zweimonats
bilanzen auf ein gemeinsames Schema geeinigt.
vgl. auch Nehm, Die Bilanzen der Aktiengesellschaften usw., München 1903,
S. 46 ff.