2. Die neueren Krisentheorien.
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diese Frage entstanden, durch welche unsere Kenntnis dieser wich
tigen Zusammenhänge sehr bereichert worden ist. Eine kurze Über
sicht über einige der wichtigsten dieser neueren Erklärungsversuche
soll zeigen, worin das Wesentliche dieses Fortschrittes bestanden hat.
Eine gewisse Beziehung zu der älteren Auffassungs- und Be
trachtungsweise, welche vor allem die Zeit und die Ursachen des
Niederganges, also die eigentliche Krise, erklären wollte, hat die
Krisentheorie von Tugan-Baranowsky, auf welche zuerst kurz
eingegangen werden soll. Sie steht auch in keinem Zusammenhänge
mit. den damaligen Störungen im deutschen Wirtschaftsleben, sondern
baut vor allem auf den Erfahrungen des englischen Wirtschaftslebens
auf. Die Auffassung Tugan-Baranowskvs berührt sich auf der einen
Seite sehr enge mit den Lehren der klassischen Nationalökonomie,
denn er hält an dem Grundgedanken der Lehre von James Mill,
Ricardo und Say fest, daß sich in der Gesamtsumme Angebot und
Nachfrage auf dem Warenmärkte decken müssen. Auf der anderen
Seite hat er als Sozialist sehr enge Berührungspunkte mit den Lehren
des Sozialismus, vor allen mit denjenigen von ,Karl Marx. Er hält
auch an der Lehre von der Periodizität der Krisen fest. Das
Wesentliche für die Entstehung der Krisen liegt für Tugan-Bara-
nowski in der Tatsache, daß, die verschiedenen Zweige der Produktion
sich nicht gleichmäßig entwickeln und daß sich hieraus dann Stö
rungen ergeben.
„In Phasen des Aufschwunges wird das neue stehende Kapital
der Gesellschaft geschaffen. Die ganze gesellschaftliche Industrie
nimmt eine eigenartige Schichtung an. Die Erzeugung der Produk
tionsmittel wird in den Vordergrund gerückt. Eisen, Maschinen,
Instrumente, Schiffe, Baumaterialien werden in viel größerer Menge
als früher gefordert und hergestellt. Am Ende ist das neue stehende
Kapital fertig; neue Fabriken, neue Schiffe, neue Häuser sind gebaut,
neue Eisenbahnlinien sind ausgeführt. Da vermindern sich aber die
Neugründungen. Die Nachfrage nach allen Materialien, welche die
Elemente des stehenden Kapitals bilden, erfährt eine Einschränkung.
Die Einteilung der Produktion hört auf, proportioneil zu sein, Ma
schinen, Instrumente, Eisen, Ziegelsteine, Bauholz werden weniger
als früher verlangt, weil die Neugründungen abgenommen haben. Da
aber die Produzenten der Produktionsmittel ihr Kapital aus ihren
Unternehmen nicht herausziehen können, und zudem erfordert,
die Größe des angelegten Kapitals in Form der Bauten, Maschinen
usw. eine Fortführung der Produktion (sonst wirft das; müßig da
stehende Kapital keine Zinsen ab), so entsteht eine Überproduktion
der Produktionsmittel. Infolge der Abhängigkeit aller Produktions-
Mombert, Stadium der Konjunktur. 3