23
Tausch und Wert.
In dem Maße zwar, wie die Bedürfnisse verfeinerten
Grades sind, dehnt sich auch ihre Grenze aus, sie
dehnt sich fast ins Unendliche. Man kann nicht sagen, wieviel
Kleinodien oder Spitzen nötig sind, damit eine Frau zum
Sättigungspunkt gelangt. Doch das Gesetz bleibt giltig.
Ein anderer Fall, in welchem Tausch leicht ist, selbst beim
primitiven Menschen — und gerade bei ihm, ist der, wenn
der Nutzen des besessenen Eigentums nicht unmittelbar ist,
sondern erst zu einem mehr oder weniger entfernten Zeitpunkt
verwirklicht werden kann. Dann bewirkt die Kurzsichtigkeit
des primitiven Menschen, daß er den Gegenstand als für den
Augenblick unnütz ansieht. Es kommt häufig vor, daß die Ein
geborenen von Algier, Marokko oder des Orients fast für ein
Nichts das Getreide herausgeben, das sie für die Aussaat auf
sparen müßten. Sobald dies erst für das nächste Jahr war,
dachten sie, der Gegenstand habe keinen großen Nutzen für sie.
Man berichtet sogar, daß bei gewissen wilden Stämmen an
den Usern des Amazoneustroms die Kurzsichtigkeit derart ist,
daß man leicht die Hängematte, in der sie schlafen wollen,
erwerben kann, wenn man sie früh morgens darum bittet, weil
der kommende Abend für sie so weit entfernt liegt wie für uns
2000 Jahre; wenn man aber wartet, bis sie müde sind, werden
sie sich gegen einen Verkauf sträuben.
Endlich müssen wir noch eine andere Vorbedingung be
merken, die geeignet ist, den Tausch zu erleichtern, nämlich
die, daß der Besitzer des Gegenstands einem gewissen Motiv
von Freigebigkeit, von Altruismus gehorcht. Nun ist dies ein
Gefühl, das durchaus nicht etwa das Vorrecht der Zivilisierten
/ ' bildet -— weit gefehlt. Zu allen Zeiten hat es in jeder mensch
lichen Seele einen Kain und einen Abel gegeben, die beiein-
, ander wohnen, und Abel wird nicht immer von Kain getötet,
| wenn er auch im allgemeinen schlummert. Das erklärt jene
paradoxe Feststellung, daß in der Wirtschaftsentwicklung das
Schenken deni Tauschen vorangegangen zu sein scheint — mit
anderen Worten: der Mensch hat sich leichter dazu entschlossen,
das Eigentum umsonst herzugeben als unter einer lästigen
Bedingung.
Ich behauptete soeben, daß der Diebstahl dem Tausch
vorangegangen sei, dasselbe können wir auch vom Schenken
behaupten, und das bringt die menschliche Natur wieder zu
Ehren. Vielleicht trifft das sogar von den Tieren zu. Ich
weiß nicht, ob man ihnen nicht das Ehrenzeugnis ausstellen
könnte, daß sie das Schenken kennen, wenigstens in ihren Fa-