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4. Demonstrationen an Gedenktagen.
Damit schließt dieAufzählung der wichtigsten Gelegenheitsdemonstrationen
der Berliner Arbeiterschaft. Von den drei regelmäßig wiederkehrenden
Demonstrationen, die zu Anfang dieses Kapitels aufgezählt wurden, verlor die
Lassallefeier unter dem gemeinen Recht bald den Charakter einer Äußerung
des Kampfes, den sie unter dem Ausnahmegesetz getragen hatte, und nahm
zeitweise mehr volksfestmäßige Züge, zeitweise mehr das Wesen einer ruhigen
Gedenkfeier an, um schließlich ganz einzuschlafen. Der neu herangewachsenen
Generation, die vor immer mehr Fragen sich gestellt sieht, welche zu Lassalles
Zeiten unbekannt waren, ist der Name des großen Agitators zwar noch
ein großes Symbol, aber eben vorwiegend ein Symbol. Er weckt keine
tieferen Gefühlsregungen mehr und hat keine unmittelbare Beziehung zu
den jeweiligen Zeitkämpfen der Arbeiterklasse. So mußte auch der Reiz
dieser Feier für die Massen immer mehr an Kraft verlieren.
Das ist auch mit der Feier des 18. März geschehen, soweit sie der
Erinnerung an die Pariser Kommune galt. Es gab eine Zeit, wo auch
die deutsche Sozialdemokratie am 18. März mehr der Kommune, als der
deutschen Revolution von 1848 gedachte. Die Kommune war ja wesentlich
eine Arbeitererhebung gewesen, die Märzrevolution dagegen wesentlich
noch Sache des Bürgertums. Aber der Kampf der Kommune war
schließlich doch eine zu spezifisch französische oder vielmehr lokale Pariser
Angelegenheit, um Nichtftanzosen auf die Dauer mehr sein zu können, als
eine tragische Erinnerung, deren Eindruckskrast auf die Gemüter um so
mehr abblassen mußte, als neue, nicht minder tragische, aber für die heutige
Arbeiterbewegung wichtigere Kämpfe das Interesse auf sich lenkten. Wäre
der 18. März nur der Gedenktag der Pariser Kommune, so wäre seine
Feier, wie anderwärts in Deutschland, so auch in Berlin allmählich ein
gestellt worden.
Aber der 18. März ist zugleich der Jahrestag der Berliner Barrikaden
kämpfe von 1848, die für Preußen den Sturz des Absolutismus besiegelten
und in denen es fast ausschließlich Arbeiter waren, welche ihr Blut für die
Freiheit und Selbstbestimmung der Staatsbürger ließen. Aus diesem Grunde
hat er an lebendigem Interesse fiir die Sozialdemokratie Berlins im Laufe
der Zeit nicht verloren, sondern eher gewonnen. Die sozialdemokratische
Arbeiterschaft Berlins betrachtet die Toten des Mürz als ihre Toten,
und deren Gräber im Friedrichshain am 18. März zu schmücken, ist ihr
eine Lerzenssache, mit der sich zugleich das Bestreben mischt, die Über
nahme des politischen Erbes der Märzgefallenen, die Fortsetzung des
Kampfes gegen die politische Klassenherrschaft in allen ihren Formen zu
bekunden. Zeitweise, je nachdem der politische Kampf sich gestaltet,
tritt dies letztere Moment der Kampfesdemonstration sogar mit besonderer
Schärfe hervor, aber ein Stück davon trägt jede Märzfeier. Änd bei jeder
fast gibt es Reibereien zwischen Polizei und Demonstranten. Den Besuch
der Gräber ganz zu verbieten, hat man fteilich nicht unternommen, das
wäre als ein zu kompromittierendes Zeichen der inneren Schwäche erschienen.
Aber man sucht ihn durch peinliche Sicherheitsmaßregeln, die scheinbar dem
Schutz der Wege und Gräber gelten — eine Sorge, die man an einem solchen
Tage ruhig der Selbstordnung der Manifestanten überlassen könnte — möglichst
zu erschwer«,. Ein Massenaufgebot von Polizei in jeder Gestalt, zu Fuß