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Professor Guttstadtschen Statistik („Die Verbreitung der venerischen
Krankheiten in Preußen". Berlin 1901.) relativ gering: aus
10 000 Einwohner Spandaus kamen nur 14,89 Geschlechtskrankheiten.
Die Arbeiter verkehren außerehelich mit ihren Klassengcnossinnen,
aber wenig mit Prostituierten. Deshalb griffen die Geschlechts
krankheiten in Spandau nicht stark um sich. Von der Fabrikstadt
Ludwigshafen berichtet der Kreisarzt Dr. Heuck in der „Denkschrift
über das Bordellwesen Deutschlands" folgende charakteristische Tat
sache: „Die große Zahl der Fabrikarbeiterinnen ermöglicht jeden
Arbeiter von 17 Jahren schon einen gleichaltrigen oder jüngeren
Schatz. Die Gelegenheit zu Zusammenkünften ist durch das Nach
hausebringen einfach gegeben und für selbstverständlich gehalten, da
Eheschließung in Bayern erschwert ist, weil die Frau das Heimats-
rccht des Mannes erwirbt und die Gemeinde ihren Konsens nur
nach Zahlung eines den Vcrmögcnsvcrhältnissen entsprechenden
Obolus erteilt. Daher viele uneheliche Kinder und später selten
Heirat."
In Mühlheim a. Rhein ist die Zahl der unter Sittenkontrolle
stehenden Frauenspersonen nach einer Mitteilung des dortigen
Oberbürgermeisters sehr gering. Sie betrug bisher nicht mehr als
zwei. Der Herr Oberbürgermeister führt die geringe Ausbreitung
der dortigen Prostitution zum Teil auf die Nähe der Großstadt Köln
zurück. Der soziale Charakter Mühlheims ist der einer aus
gesprochenen Fabrikstadt. Der Arbeiter geht intime Verbindungen
mit seinen Klassengcnossinnen ein und begehrt daher nicht die Um
armungen von Dirnen, und die zahlungsfähigen Mitglieder der
großbürgerlichen Klassen und der Mittelklassen vergnügen sich mit
eleganten Halbweltsdamen des leichtlebsndcn Kölns.
Für das richtige Verständnis der eigenartigen Prostitutions-
erscheinungen scheint uns von besonderer Wichtigkeit ein sozialer
Vergleich der Handels- und Verkehrsstadt Berlin mit dem Zentruin
der deutschen Großindustrie, mit dem Regierungsbezirk Arnsberg
zu sein. Der Regierungsbezirk Arnsberg gebot am 1. Dezember
1900 über eine ähnliche Einwohnerzahl wie Berlin, nämlich 1851319.
Berlin besaß 1 888 864 Einwohner in demselben Jahre. Arnsberg
ist dicht bevölkert. Riesige Massen der Bevölkerung wohnen in Groß-
und Mittelstädten wie Bochum, Dortmund, Hagen, Gelsenkirchen,
Siegen, Lippstadt, Soest, Hamm, Hörde, Schwelm, Iserlohn und
Altena.
Die Familien sind trotz des im Regierungsbezirk Arnsberg
herrschenden Industrialismus wenig zersetzt. Im Bergbau und in
der Eisenindustrie sind relativ wenig Frauen und Mädchen be
schäftigt. Im Stadtkreise Berlin gab es 169805 krankenversicherungs
pflichtige Mädchen und Frauen, im Regierungsbezirke Arnsberg gab
es 23 715 versicherungspflichtige Mädchen und Frauen 1901. Die
Frauen und Mädchen Arnsbergs sind also zumeist noch der Familie
eingegliedert. Die Familienhaushaltungen sind in Arnsberg im