182
II. Öffentliche Versicherung.
Auf die Verschiebungen, die in dem Verhältnisse zwischen den Ver
sicherungsbeiträgen und den Zinseinnahmen eingetreten sind, wird noch
an späterer Stelle einzugehen sein.
Untersucht man die Herkunft dieser ganzen Einnahmen und ihren
Einfluß auf die Wirtschaftsführung derjenigen Kreise, die sie aufzubringen
haben, so kann man die Zinseinnahmen zunächst außer Betracht lassen;
bei ihnen hängt alles von der Art der Vermögensanlage und den Ver
wendungszwecken der ausgeliehenen Kapitalien ab; darüber aber wird
besonders zu sprechen sein.
Die Zuschüsse des Reiches zu den Kosten der Invaliden
versicherung sind eine im Versicherungswesen ungewöhnliche Erscheinung;
ganz besonders wegen ihrer großen Höhe: wurde doch durch die Reichs
zuschüsse mehr als ein volles Drittel der ganzen bisherigen Renten
zahlungen bestritten. Zwar sinkt diese Anteilsquote allmählich — zehn
Jahre vorher (1900) stammten noch beinahe 40 °/o aller geleisteten
Rentenbeträge aus den Reichszuschüssen —, und sie wird auch noch eine
gewisse Zeitlang weiter sinken, weil der durchschnittliche Betrag der be
willigten Renten noch" steigt (längere Versicherungsdauer, Verwendung
höherer Beitragsmarken), der Reichszuschuß aber die feste Summe von
50 Mk. behält. Aber sie wird doch stets einen sehr erheblichen Teil der
Rentenlasten ausmachen, zumal nach der Einführung der Hinterbliebenen
versicherung, zu deren Kosten weitere Reichszuschüsse geleistet werden.
Zweifellos fehlt der Invalidenversicherung unter diesen Umständen eines
der charakteristischsten Merkmale der reinen Versicherungseinrichtungen,
und es tritt das Moment der ergänzenden staatlichen Fürsorge hinzu.
Ihre Begründung findet diese zunächst in dem allgemeinen Staats
interesse, das eine angemessene Sicherung der breiten, wirtschaftlich ab
hängigen Massen bei Invalidität und hohem Alter aus sittlichen Gründen
als notwendig und aus politischen Gründen als zweckmäßig erscheinen läßt*.
1 Bei der Ausstellung der ersten Pläne zur Jnvaliditätssürforge ging Bismarck
sogar von dem Gedanken aus, die erwerbsunfähigen Arbeiter einzig und allein durch
freie Zuwendungen aus Reichsmitteln gegen die Folgen von Alter und Invalidität
zu schützen, wie es bekanntlich neuerdings im Auslande stellenweise geschehen ist-
Sein politisches Ziel dabei hat er u. a. in der bekannten* Reichstagsrede vom
18. Mai 1889 folgendermaßen ausgesprochen: „Wenn wir 700000 kleine Rentner,
die vom Reiche ihre Rente beziehen, haben, gerade in den Klassen, die sonst nicht
viel zu verlieren haben und bei einer Veränderung irrtümlich glauben, daß sie viel
gewinnen können, so halte ich das für einen außerordentlichen Vorteil. Wenn sie
auch nur 115—200 Mk. zu verlieren haben, so erhält sie doch das Metall in ihrer