Der moderne Imperialismus.
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Verwaltung haben eine über den Machtkreis örtlicher Angelegen
heiten hinausgehende Entwicklung genommen. Sie genießen seit
Jahren das Recht, eine selbständige Handelspolitik zu verfolgen.
Sie schließen, wenn auch in verhüllter Form, internationale Verträge
ab. Sie nehmen an den Kriegen des Mutterlandes teil und bean
spruchen das Recht, deren Berechtigung zu prüfen. Seit mehr als
dreißig Jahren ist nun eine Bewegung im Gange, die nach Formen
sucht, um einen Zusammenschluß zwischen Mutterland und Kolonien
herbeizuführen. Diese Bewegung wird allseitig mit dem Namen «Im
perialismus» bezeichnet. Es handelt sich bei diesem Imperialismus
nicht darum, dem britischen Reiche neue Gebiete zu gewinnen. Seine
Träger haben zwar in einzelnen Kolonien, wie z. B. in Südafrika,
eine Ausdehnung des Kolonialgebietes erfolgreich erstrebt, damit
nicht feindliche Elemente die Reichsgrenzen beengen oder gefährden
möchten. Ihr eigentliches Ziel ist aber neben der Erschließung der
bereits gewonnenen Länder durch britisches Kapital und deren Be
siedlung durch britische Auswanderung der Zusammenschluß des
Mutterlandes mit den Tochtervölkern zu einem Reichsverein, nicht
die Erwerbung und Absteckung neuer Gebiete, die das Mutterland
besiedeln möchte.
Dabei sind die Bevölkerungen der in Frage stehenden Kolonien
weder der Abstammung, noch der Geistesart nach, denen des Mutter
landes vollkommen gleich. Der Australier, der Kanadier, der Süd
afrikaner weisen, selbst da, wo sie rein englischer Abstammung sind,
Charaktereigenschaften auf, durch die sie sich sowohl voneinander als
auch von den Engländern des Mutterlandes unterscheiden. Es leben
überdies in diesen Kolonien geschlossene Gruppen fremdnationaler
Bevölkerungen. Man hat früher darauf gerechnet, daß sie — vor
allem die Franzosen in Kanada — durch stete Berührung mit der
Masse der englischen Einwanderer ihre Nationalität verlieren und
allmählich zu englisch sprechenden Kanadiern werden würden. Zu
diesem Zwecke ist ursprünglich die französische Provinz Quebec mit
der englischen Provinz Ontario vereinigt worden, damit sie «eine
englische Provinz werden möchte». Diese Politik hat sich nicht be
währt. Die französischen Kanadier sind Franzosen geblieben und
reichstreu geworden. Niemand denkt heute daran, sie ihrer Natio
nalität zu berauben. Sie werden, ohne Rücksicht auf dieselbe, als
vollwertige Mitglieder des zu schaffenden britischen Reichsver,-