Full text: Das Ich und der Staat

VI. Deutsche Diesseits-Religion 
D überstaatlichen Bindungen des Ichs + überstaatlich, weil 
sie über die Grenzen des staatlich organisierten Volkstums 
hinausgreikfen - beruhen auf gefühlsmäßiger Überlieferung aus 
Zeiten, die eine staatliche Gebundenheit des Ichs, wie sie der Ge- 
genwart eigen ist, noch nicht kannten. Das Rassenbewußtsein ruht 
auf dem dunklen Untergrunde des Glaubens an eine gemeinsame 
Abstammung, der kirchliche Zusammenhalt setzt den Glauben an 
eine gemeinsame Bestimmung, jenseits dieser Zeitlichkeit, voraus. 
Zwischen beiden, auf dem harten Untergrunde gegebener Tatsachen, 
ist der Staat gewachsen, wie wir ihn heute kennen und, je nach 
unserer Einstellung, lieben oder hassen. Der Staat, der sich – wenn 
er selbst leben und seine Bestimmung erfüllen will ~ das Recht 
nicht nehmen lassen kann, das Verhältnis des Ichs zu den älteren 
Bindungen von Rasse und Kirche grenzregelnd zu überwachen oder 
auch neu zu ordnen. 
Was aber ist die Bestimmung des Staates? Eine Untersuchung, 
die das Verhältnis des Ichs zum Staate klarstellen wollte, konnte 
füglich nur vom Ich ausgehen, als dem jedem Ich ursprünglich 
Gegebenen. Für das Ich hat sich im Laufe dieser Untersuehung, 
immer fester umschrieben, die Zweckbestimmung ergeben, ein dienen- 
des Glied des Staates zu sein. 
Wenn das die Zweckbestimmung des Ichs ist ~ soweit das Ich 
selbst sie erkennen kann was ist dann die Zweckbestimmung des 
Staates? Was bedeutet der Staat für das Ich? 
Die landläufigen Ansichten darüber gehen immer noch weit 
auseinander. Gemeinhin verbindet jeder mit dem Worte Staat 
einen besonderen Sinn, und zwar auch je nach den Umständen, unter 
denen es gebraucht wird, einen besonderen Sinn. Das ist durchaus 
berechtigt, denn kein Wort hat einen Sinn, der ihm unbedingt zu- 
käme, sondern der Sinn, der mit dem Wort verbunden wird, ist 
stets abhängig von den besonderen Umständen, unter denen es 
gebraucht wird.
	        
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