1!! VI. Deutsche Diesseitsreligion
Hier aber handelt es sich um den denkbar allgemeinsten Gebrauch
des Wortes, um den Begriff vom Staat ~ und das, was ihn im
alltäglichen Leben ersetzt.
Da ist „„der Staat“ dem einen immer noch die milchende Kuh,
die ihn mit Butter –~ und anderen guten Dingen — versorgen
sollte. Dem andern ist er „der Racker“, der ihm das Geld aus der
Tasche zieht und doch nie genug bekommen kann. Dem ist er eine
etwas nebelhafte Macht, die die verdammte Pflicht und Schuldigkeit
hätte, dafür zu sorgen, daß das Ich seinen Geschäften ungehindert
und ungestört nachgehen kann, die sich dem Ich im übrigen aber
so wenig bemerkbar machen sollte wie möglich. Jenem ist er eine
Art von Versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit, die den durch
Geburt und Besitz oder „„die ökonomische Bewegung““ dazu berechtig-
ten und vorbestimmten Klassen die Herrschaft über die anderen er-
halten sollte. Nicht wenigen ist er die Quelle alles Übels, solange
sie keine Macht über ihn haben, und das tauglichste Mittel, sich
das Leben angenehm zu machen, sobald ihnen die Macht im Staate
zugefallen ist.
Wem aber der Staat mehr ist als eine Vorstellung des Ichs,
wer ihn je als leibhaftige Wirklichkeit über dem Ich erlebt hat
und wer das nicht hat, mit dem verlohnt es sich kaum, über das
Wesen des Staates zu reden - der wird nur von einer Begriffsbe-
bestimmung befriedigt sein, die das Wesen des Staates unabhängig
davon macht, ob er dem Ich angenehm oder zuwider, nützlich oder
schädlich, heilig oder verächtlich ist.
Der Staat in diesem Sinn ist keine Behörde oder ein Ratten-
könig von Behörden. Er ist kein Etwas, das im Gegensatz stünde zur
Gesamtheit der im Staate lebenden Bürger. Er ist aber auch nicht
die Gesamtheit dieser Bürger selbst. Durch die bloße Summierung
oder Aneinanderreihung von Massenteilchen Ich kommt noch kein
Staat zustande. Der Staat ist vielmehr das, was die Summe aller
seiner Massenteilchen Ich zur lebendigen Einheit zusammenbindet,
er ist nichts anderes als die Lebensform der völkischen Schicksals-
gemeinschaft, das Wesen höherer Ordnung, wozu das Individuum
Mensch sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt hat. Lebensform
~ lebendige Form, nicht starre Schablone, nicht vertrocknete Hülle
aus Paragraphenschnitzwerk, mit Aktenstaub überdeckt, ist der Staat.
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