Kap. IX. Analyse des Geldwesens usw.
Staatsmacht sich die Regulierung des Zahlungswesens vorbehalten
hat, ist also die wirtschaftliche Bedeutung der Preiseinheiten auf die
Dauer von der Zahlungskraft, die dem einen oder anderen Zahlungs-
mittel gegeben wird, vollständig abhängig.
| Die Preisrechnung und das allgemeine Zahlungsmittel zusammen
bilden das Geldwesen. Das Geldwesen ist also aus zwei natürlichen
Bedürfnissen des Verkehrs durch einen wahrscheinlich sehr langsamen
ntwicklungsprozeß entstanden. Diese Entwicklung hat sicher auf
allen Stufen mit der Entwicklung des Tauschverkehrs selber gleichen
Schritt gehalten. Schon in den ältesten Quellen, in denen überhaupt
von einem Verkehr die Rede ist, finden wir eine Preisrechnung, und
allgemeine Zahlungsmittel sind unzweifelhaft überall da im Gebrauch ge-
wesen, wo der Verkehr eine auch nur einigermaßen höhere Ausgestal-
ung gewonnen hat. Auch später ist die Entwicklung.des Tauschver-
kehrs derjenigen des Geldwesens nie vorausgeeilt. Als schließlich im
neunzehnten Jahrhundert der Tauschverkehr unter Verdrängung der
alten Eigenwirtschaft eine wirkliche Tauschwirtschaft schuf, da erreichte
auch das Geldwesen seine jetzige Vollendung.
„Dieser Versuch, die Grundzüge der Entstehungsgeschichte des Geld-
esens analytisch zu rekonstruieren, wird sehr gut durch die Darstellung
bestätigt, die Ridgeway von der entsprechenden Entwicklung in
der antiken Welt gibt. Nach diesem ausgezeichneten Kenner ist im
ganzen mittelländischen Kulturgebiet — vom Atlantischen Ozean bis
nach Zentralasien — der Ochse Jahrtausende hindurch als Haupteinheit
ür die Preisrechnung benutzt worden. Daneben kamen auch Unterein-
heiten, wie z. B. das Schaf, vor. Vielleicht wurde auch der Sklave als
eine höhere Einheit (im Werte von drei Ochsen) benutzt. Schon sehr
früh sind aber andere Güter, die Metalle, als allgemeine Tausch- oder
Zahlungsmittel in Gebrauch gekommen. Auf den frühesten Stufen
wurden die Metalle nach Maß geschätzt, etwa in Stangen hergestellt
und mit einer dem menschlichen Körper entnommenen Längeneinheit
emessen. Gold wurde in der Form von Armringen (oft spiralförmig)
als Schmuck, aber auch bei Bedarf als Zahlungsmittel benutzt, wobei
die Form die Schätzung der Menge erleichterte. Zur Erleichterung
ihres Gebrauchs als Zahlungsmittel wurden die Metalle auch in Stücken
bestimmter Größe in Form von Ringen, Nägeln, Nadeln usw. hergestellt.
as Wiegen ist erst durch das Bedürfnis, das teuerste der Metalle, das
Gold, in genauen Quantitäten abzuschätzen, entstanden. Als erste Ge-
wichte sind verschiedene Getreidekörner und andere Samen En
worden, wovon noch die englische Gewichtseinheit „grain‘“ und das
um Wiegen von Gold bis in unsere Zeit benutzte „karat‘“ (gleich Ke-
ration, der Kern der Johannisbrotfrucht) zeugen. Nun ist es eine sehr
bemerkenswerte Tatsache, daß Gold immer in einer Einheit gemessen
wurde, die dem Wert eines Ochsen entsprach. Diese Einheit hatte das
340