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Einen besonders verhängnisvollen Irrtum enthält die Unterschei-
dung von „reiner‘“ und „angewandtier‘“ Theorie. Alle Theorie ist
„rein“, nämlich raum- und zeitlos. Man kann wohl von der An-
wendung der Theorie (in der Empirie und in den Kunstlehren)
sprechen, aber nicht von „angewandter““ Theorie im Gegensatz zu
einer „reinen“. Auch die angewendete Theorie bleibt „rein“. Man
kann auch — wie wir noch sehen werden — den Unterschied von
allgemeiner und historischer Theorie machen; aber beide sind „reine“
Theorien. Allenfalls könnte man die Aprioribestandteile der Theorie
den übrigen Bestandteilen als „reine‘“ gegenüberstellen. Aber das führt
auch zu Unklarheiten, so daß man den Ausdruck „reine“ Theorie
lieber vermeidet.
Was es mit einer nationalökonomischen Theorie in Wahrheit auf
sich habe, läßt sich etwa wie folgt umschreiben:
Von etwas Theorie treiben, hat einmal v. Gottl treffend gesagt,
heißt nie etwas anderes, als darüber wahrhaft und in Einheit zu
Ende denken. Machen wir uns klar, was das bedeuten kann.
„Theorie treiben‘ ist also so viel wie „theoretisch denken‘. Da-
runter aber haben wir zu verstehen: Akte zur Bildung derjenigen
Kategorien (Begriffe), mit denen die lebendige Wirklichkeit „um-
griffen“ werden kann, in denen das Allgemeine im Besonderen er-
faßt oder — wie wir es auch ausdrücken können — im Wissen auf
seine grundsätzlichen Bestandteile zurückgeführt wird.
Im Bereiche der Geistwissenschaft heißt das aber: das Wesen eines
Sachverhalts, eines Gebildes sich zum Bewußtsein bringen, heißt es:
den Sinn begrifflich durchdringen, heißt es: objektiven Geist in sub-
jektiven zurückverwandeln.
„Eine Theorie aufstellen“ bedeutet dann soviel wie die Einzel-
begriffe zu einer systematischen Einheit zusammenfügen, bedeutet
soviel wie die Übertragung der objektiven Sinnzusammenhänge in
Gedankenzusammenhänge, das heißt in ein Begriffssystem. Frucht-
bare Begriffssysteme zu schaffen, ist eine der Hauptaufgaben der
Theorie, und sie erfüllt diese Aufgabe dann, wenn sie die Wirklichkeit
liebevoll umfaßt und den Sinn des Seienden möglichst getreu in ihren
Begriffen zum Ausdruck bringt: in einer tunlichst weitgehenden Ent-